Christliche Irak-Flüchtlinge: Aufgenommen, nicht angenommen

Tausende christliche Iraker mussten seit Beginn der US-Invasion unter dramatischen Umständen aus ihrer Heimat fliehen. Nun wollen sie in Deutschland ein neues Leben beginnen.

Wie diese Kirche in Mosul werden christliche Einrichtungen im Irak immer häufiger gezielt angegriffen. Bild: dpa

Wenn Pfarrer Danka "Gott" sagt, klingt er fast wie ein Muezzin: "Alaha" ruft er mit kehliger Stimme. Der stoppelbärtige Priester breitet die Arme über dem zentralen Altar der katholischen Kirche St. Albert Magnus in Essen-Katernberg aus und stimmt auf Aramäisch das Hohelied an. Hinter den Holzbänken des schmucklosen quadratischen Kirchenschiffs erheben sich rund 200 Gläubige.

Fast alle stammen aus dem Irak, viele sind Kontingentflüchtlinge: Mütterchen mit schwarzen Strickjacken und durchsichtigen Kopftüchern über dem grauen Dutt, alte Herren im Sakko, mit Zahnlücke und Schnauzer, aber vor allem viele westlich wirkende Männer in Bundfaltenhosen und Poloshirts und junge Frauen in bunten Blusen und Trägerhemden.

Deutlich mehr kleine Kinder als bei römisch-katholischen Sonntagsmessen laufen zwischen den Bankreihen herum. Wovon es auch mehr gibt, ist Weihrauch. Vor und nach dem Abendmahl schwenken weiß gewandete Diakone die qualmenden Becken in die Masse, als wollten sie das Gotteshaus in eine trockeneistrübe 70er-Jahre-Disco verwandeln.

Die chaldäisch-katholische Kirche untersteht zwar dem Papst, aber ihre Riten sind deutlich pompöser und geheimnisvoller als die römisch-katholischen. Von solchen liturgischen Feinheiten abgesehen, gelten die christlichen Iraker als unproblematisch. Vor allem Unionspolitiker und die katholische Kirche setzten sich für die mutmaßlichen orientalischen Brüder und Schwestern im Geiste ein.

Das Bistum Essen, das in einer beispiellosen Ausdünnungsoffensive in den vergangenen Jahren etwa ein Drittel seiner Gotteshäuser geschlossen hat, gab der Kirche St. Albert Magnus eigens für die Flüchtlinge aus dem Irak wieder die Weihe.

EU-Programm: Insgesamt 2.500 Kontingentflüchtlinge aus dem Irak wird Deutschland im Rahmen eines EU-Programms in diesem Jahr aufnehmen, Nordrhein-Westfalen mehr als 550. EU-weit werden es 10.000 sein. Die meisten sind Christen, einige auch Muslime oder Angehörige der kleinen Religionsgemeinschaft der Mandäer. Experten schätzen, dass 4,5 Millionen Iraker auf der Flucht sind, 2,5 Millionen sollen das Land verlassen haben.

"Willkommenskultur": Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach und NRW-Integrationsminister Armin Laschet (CDU) sprachen sich für eine "Willkommenskultur" aus. Den Vorwurf einer konfessionell begründeten Bevorzugung weist Laschet zurück: "Christen sind besonders bedroht im Irak, und zwar in allen Landesteilen, aber wir nehmen nicht nur Christen auf."

Aufenthalt: Die Iraker sollen dauerhaft in Deutschland angesiedelt und hier integriert werden. Deshalb bekommen sie sofort eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis mit Option auf Verlängerung. Diese sei "nicht auf Probe" gedacht, heißt es im Bundesinnenministerium. Zudem dürfen die Iraker sofort arbeiten. Damit sind die Kontingentflüchtlinge bessergestellt als Asylbewerber. OS

Das zuletzt eingetroffene Mitglied der Gemeinde im armen Essener Norden ist Jalal Shaaya. Am Vortag ist er auf dem Flughafen von Düsseldorf gelandet. Jetzt sitzt der 45-Jährige schmächtig und still auf der Couchgarnitur in der Wohnung seiner Schwägerin in Schonnebeck, einem Stadtteil, geprägt von grau verputzten Mietskasernen und vierspurigen Durchgangsstraßen

Im Fernseher läuft Super RTL. Über ihm hängt ein kitschiges Bild vom Abendmahl mit imitiertem Goldrahmen. Die weißen Vorhänge flattern über dem Fensterbrett, auf dem eine Schmuseente auf dem Rücken liegt. Shaaya reibt sich mit beiden Händen das Gesicht, er hat Kopfschmerzen, sagt er. Er nimmt seinen jüngsten Sohn Yussuf in den Arm, aber der windet sich heraus. Yussuf kennt seinen Vater nicht. Als sie sich vor zwei Jahren trennten, war er noch ein Baby.

Die jüngere Geschichte der Familie Shaaya ist dramatisch. Im Juli 2007 wird der Vater in ihrem Wohnort Samra südlich von Bagdad verschleppt, die Mutter vor den Augen der Kinder erschossen, angeblich von islamischen Extremisten. Der älteste Sohn steckt seine sechs Geschwister und die Leiche in einen Kleinbus, sie rasen in den Norden Iraks, zu einer Tante. Von einer christlichen Gemeinde zur anderen werden die Waisen nach Syrien und schließlich ins deutsche Konsulat in Damaskus geschleust. Das schaltet sofort das Außenministerium ein.

In einem außergewöhnlich unbürokratischen Eilverfahren bekommen die Kinder innerhalb von wenigen Wochen eine Vorabgenehmigung, bei den Großeltern zu wohnen, die bereits lange als anerkannte Flüchtlinge in Essen leben. Vater Jalal Shaaya wurde Ende 2008 vom Militär aus der Geiselhaft befreit. Wie alle Kontingentflüchtlinge, die jetzt in Deutschland landen, hat auch er ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis. Dann steht Integration wie aus dem Bilderbuch auf dem Programm: Bereits in sechs Wochen beginnt Shaayas Deutschkursus.

Von solchem Willkommensaktivismus hätten frühere Irakflüchtlinge nur träumen können, sagt Rudi Löffelsend vom Essener Caritasverband: "Wer damals geflohen ist, hat meist nur eine relative Duldung bekommen." Der Großteil der christlichen Iraker sei auch heute noch gebildet und wohlhabend. "Aber wer früher kam, musste sich mit Aushilfsjobs durchschlagen, die kein Deutscher machen wollte, zum Beispiel in den Gießereien."

Die Kontingentflüchtlinge hätten zudem das Glück, dass sie sich jetzt auf ein Netzwerk von Verwandten und Bekannten stützen könnten. So sei es auch kein Zufall, dass es viele in die nördlichen Essener Stadtteile zieht, wo der Ausländeranteil ohnehin besonders hoch. "Da ist eine Sogwirkung entstanden", sagt Löffelsend.

Einer der frühen Flüchtlinge ist Georges Al-Sanate. Im Jahr 1998 kam er nach Essen. Er war nachts über die Grenze in die Türkei gelaufen, hatte sich im Lkw versteckt über den Balkan nach Deutschland schmuggeln lassen. "Wir sind auch geflohen", sagt er. "Aber wir mussten um alles kämpfen. Um Arbeit, um Wohnungen, um Respekt von den Nachbarn." Jetzt hat er ein unbefristetes Bleiberecht. Auf die Anerkennung seines Asylantrags wartet er noch.

Unweit der chaldäischen Kirche von Katernberg, am Rande eines Gassengeflechts mit schiefen, backsteinernen Zechhäusern, betreibt der 30-Jährige eine Trinkhalle im ortstypischen Stil: Brötchen in der Auslage, Schubladen mit Weingummi auf dem Tresen, im Regal darüber Schnaps von Dimple bis Gorbatschow. Nur dass dazwischen eine eher orientalisch wirkende Maria, das Jesuskind auf dem Arm, milde von einem naiv gemalten Bild lächelt. "Meine Freunde sind Iraker, Portugiesen und Spanier", sagt er und streicht sich über den gepflegten Kalifornienbart. Sein Deutsch sei bis heute schlecht, weil er zuerst bei Griechen Arbeit fand: "In der Gastronomie, als Pizzafahrer. Da habe ich erst mal Griechisch gelernt."

Nie wieder Irak

Zu seinem Kiosk ist Al-Sanate über andere christliche Emigranten gekommen: Ein deutscher Bäcker gab den Laden an einen türkischen Christen ab, den beerbte ein chaldäischer Iraker, der ihn vor einem Jahr an Al-Sanate verkaufte. "Wir machen hier zwar sehr einfache Arbeit, aber in den Irak zurückziehen wollen wir nie wieder."

Das wollen auch viele andere Flüchtlinge nicht, sagt Sami Danka, der Pastor der neu gegründeten chaldäischen Gemeinde in Essen-Katernberg, nach dem Gottesdienst. "In ihren Häusern leben jetzt Muslime, Familie und Freunde sind in alle Himmelsrichtungen verstreut." Die Bedrohung für irakische Christen habe seit der US-Invasion massiv zugenommen. "Schon vorher wurden Kirchen angezündet. Aber seit 2003 hat es immer mehr Morde und Entführungen gegeben." Er selbst habe sich in den vergangenen Jahren im Irak nicht in seiner Priesterkleidung vor die Tür gewagt.

In Essen-Katernberg dagegen sind die Auseinandersetzungen eher unterschwelliger Natur. Heute wohnt der Pastor mit den stoppeligen Wangen und großen, müden Augenlidern direkt neben dem einst römisch-katholischen Gotteshaus seiner Gemeinde, das Bistum Essen besoldet ihn. Er und seine Messdiener können beim sonntäglichen Abendmahl jene Gewänder tragen, die ihnen Mitglieder der alten Gemeinde von Katernberg großzügig überlassen haben.

Allerdings, gesteht Danka: "Manche haben nicht verstanden, dass wir eine Kirche bekommen haben, die ihnen vorher genommen wurde." Die Iraker hätten die Deutschen eingeladen, an der Messe teilzunehmen. Aber niemand sei aufgetaucht, nur einmal der ehemalige Pfarrer. "Sie haben uns aufgenommen. Aber sie haben uns nicht angenommen."

Manchen Bewohnern des Essener Nordens ist freilich die ganze Problematik fremd. Aydin Boru macht nach dem sonntäglichen Joggen unter dem Minarett der Katernberger Moschee Dehnübungen. "Klar", sagt der junge Mann, dessen Vater vor knapp vierzig Jahren nach Essen kam, um in den umliegenden Zechen zu malochen. "So sollte Integration aussehen." Nur die sprachliche Förderung gehe völlig an der Realität vorbei. "Mit Türkisch würden die Iraker hier doch viel mehr werden als mit Deutsch."

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