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Christiane Rösinger Aus dem Leben einer BoomerinMehr Patina, weniger Pistachio bitte

Foto: Fo­to:­ privat

Zu den Vorteilen meiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Gelegenheits-Musikerin/Autorin/Kolumnistin/Regisseurin gehört zweifelsfrei, dass mich diese im Schnitt zweimal im Jahr nach Wien geführt hat.

Das gab natürlich schon immer Anlass genug für die beliebten Städtevergleiche. Aber mit zunehmendem Alter gibt es Dinge in der Donaustadt, die ich in Berlin, wo ich wohne, so sehr vermisse, dass ich stets mit einem wehmütigen Gefühl von der Donau an die schnöde Spree zurückkehre.

Das Kaffeehaus zum Beispiel war mir seit den Neunzigern nur eine schöne skurrile Wiener Besonderheit. Man erfreute sich an den mürrischen Kellnern, dem elegant-verlebten Ambiente, an fremdartigen Speisen wie Schnittlauchbrot, machte aber nicht viel Aufhebens um diese Institution.

Manches Mal rettete mich so ein Kaffeehaus, wenn ich geschwächt vom vorherigen Auftrittsabend und den Nachfeiern um 11 Uhr in der Früh aus dem Hotel musste und im Kaffeehaus auf weichen Polstern ein paar Stunden bis zur Rückfahrt rekonvaleszieren konnte.

Doch seit ein paar Jahren entfaltet das Kaffeehaus eine ganz andere Magie. Während ich zu Hause im Zuge der Schreibverhinderung sämtliche Stufen der Prokrastination durchlebe, bevor der Schreibversuch in Lähmung und Selbstverachtung endet, mir das ­Schreiben in einem Café neben den üblichen Laptop-Posern aber irgendwie affig vorkäme, fühle ich mich im Wiener Kaffeehaus regelrecht zum ­Schreiben animiert.

Es ist so ein Klischee!

Aber dort kritzeln sich die Gedanken und Ideen wie von selbst ins Notizheft.

An was liegt es?

An der Patina?

Am Vibe?

Ist es etwas Feinstoffliches, was Kaffeehausliteraten der letzten Dekaden dort hinterlassen haben?

Es muss mehr dahinter sein, schließlich treffen sich auch die jüngeren Wiener Autorinnen immer noch im Kaffeehaus zum Schreiben.

Ein Phänomen sind die anderen Gäste. Alle scheinen unendlich viel Zeit zu haben. Sie sind da, wenn ich komme und hocken immer noch da, wenn ich nach zwei Stunden wieder gehe.

Die meisten Gäste sind unterhalb des Rentenalters, keine Hipster, keine Touristen, keine „Kreativen“.

Nein, ganz normale Leute sitzen da stundenlang, lesen Zeitung, machen was mit ihren Telefonen, hocken da allein, zu zweit, zu dritt im stundenlangen Austausch.

Warum haben hier eigentlich alle so viel Zeit?

„Und warum gibt es so etwas nicht in Berlin?“ denke ich jedes Mal.

„Alles wäre besser und einfacher.“

Dabei gibt es in Berlin natürlich, wie in jeder größeren Stadt Deutschlands, Hunderte Cafés, in denen jede dumme Kaffeemode aufgegriffen wird.

In ungemütlichen kleinen Ladenlokalen kann man auf stylishen Hockerchen Platz nehmen und eine Menge Geld für den letzten und vorletzten Kaffeetrend dort lassen, von Cold Brewed über Pistachio Coffee bis zu Lemonade Coffee.

Man erfreute sich an mürrischen Kellnern, dem elegant- verlebten Ambiente, an Speisen wie Schnittlauchbrot

Aber es gibt kein einziges Café, dass einem Wiener Kaffeehaus nur irgendwie nahe käme.

Im Ranking der lebenswertesten Städte der Welt musste Wien 2025 den ersten Platz an Kopenhagen abgeben.

Deutsche Städte liegen weit abgeschlagen hinten.

Vielleicht würde ein Kaffeehaus helfen?

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