Christian Buss Der Wochenendkrimi : Der Tumor und die RAF
Die RAF hat sich längst aufgelöst, aber im Keller eines Ex-BKAlers ist der Deutsche Herbst noch nicht vorbei. Rentner Paul Krafft (Vadim Glowna), einst Vize bei Deutschlands zentralen Verbrechensbekämpfern, hortet unterm Eigenheim Akten, die so brisant sind, dass sie noch immer nicht in den Zentralrechner eingespeist sind.
LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) stößt auf die Manipulationen, die schlimmste Befürchtungen bestätigen: Das BKA hat Anschläge der RAF bewusst nicht vereitelt, damit man noch repressiver bei der Terrorismusbekämpfung vorgehen konnte. Das ist starker Tobak für den ersten Fall des neuen hessischen „Tatort“-Kommissars Murot, der einmal jährlich von Wiesbaden aus ermittelt.
Dabei fängt „Wie einst Lilly“ leise, skurril und pietätvoll an: Beim Ermittler wird ein Tumor im Kopf diagnostiziert. Statt prüfen zu lassen, ob er sich entfernen ließe, gibt Murot dem Ding lieber den Namen „Lilly“, spielt ihm auf dem Piano das berühmte Lale-Andersen-Lied vor und hält Zwiesprache mit ihm.
Mit dem Tumor im Kopf reist er in seine alte Heimatstadt an den Edersee, wo ein Angler ermordet wurde, der offensichtlich Verbindungen zur RAF hatte. Während der Kommissar von seinem redseligen Geschwür gelegentlich abgelenkt wird, führt der Trip gleich in zweierlei Geschichten: in Murots eigene und die des deutschen Terrorismus: Unaufgeregt verquicken die Macher (Buch: Christian Jeltsch, Regie: Achim von Borries) einen verwegenen Verschwörungs-Plot mit Anspielungen auf die jüngsten Entwicklungen und Mutmaßungen um Verena Becker und den Buback-Fall.
„Ewiger Unruhezustand beim Thema RAF“, nuschelt Ex-BKAler Krafft einmal Ermittler Murot zu. Ein schönes Motto für diesen Zeitgeschichtskrimi, der sich der im „Tatort“ erstaunlich unterrepräsentierten RAF annimmt, um zu zeigen: Historie schläft nie. Manchmal wuchert sie gar wie ein Tumor im Kopf.
■ Wiesbaden-„Tatort“: „Wie einst Lilly“; Sonntag 20.15 Uhr, ARD