piwik no script img

Christa Pfafferott Zwischen MenschenEin Luftballon in der Nacht

Es ist dunkel. Ich fahre auf dem Rad nach Hause und denke über ein Thema nach, das mich traurig stimmt, das in dem Moment den Glauben an die Welt hinterfragt. Vielleicht hat das Gefühl auch mit der Dunkelheit zu tun, der Kälte, die zum ersten Mal auf den Winter verweist. Es ist still. Außer mir sind keine Menschen auf der Straße. Ich fahre weiter über nasses Herbstlaub, dann durch ein Tor und biege in die Einfahrt ein, an deren Ende ich das Rad in den Schuppen stelle. Da sehe ich undeutlich im Dämmerlicht etwas vor mir in der Luft. Ich bleibe stehen.

Es ist ein Ballon. Er schwebt auf Höhe meines Gesichts. Ein kleiner, grüner Gasballon. Er muss gerade aus dem Himmel herabgesunken sein. Still blicke ich ihn an. Er steht vor mir in der Luft, wie festgeklebt. Wie ein Gruß, eine Erscheinung. Als hätte ihn jemand in den Platz vor mir hinein animiert.

Ein wundersames Aufeinandertreffen von Zeit und Raum

An dem Ballon hängt eine Schnur mit einer Karte, ganz langsam schwebt er weiter herab. Um den Ballon herum ist viel Raum. Er hätte auch viel weiter links oder rechts oder von mir entfernt fliegen können. Aber er sinkt hier unmittelbar in Höhe meines Gesichts herab. Genau in der Sekunde, als ich diesen Ort erreiche. Was für ein Aufeinandertreffen von Zeit und Raum! Fasziniert stehe ich da in dieser stillen Nacht. Der Ballon schwebt im Dunkeln – leicht angestrahlt durch Licht aus dem Fenster meiner Nachbarn. Ein wundersames Bild. Ich denke an nichts. Da ist nur noch Verblüffung, Staunen, Dankbarkeit.

Ich spüre, dieses Bild wird bleiben. Luftleichter Moment. Ich will es noch herauszögern, das Bild auf Pause stellen, bevor der Ballon ganz zur Erde gleitet. Bevor ich ihn fange. Ich will noch nichts darüber wissen, was auf der Karte steht, was da plötzlich aus dem Himmel gekommen ist. Das Schöne an dem Ballon ist nicht nur, dass ich ihn finde. Oder dass er mich findet. Das Schönste ist, dass ich ihn sehe, bevor er landet. Dass ich den Moment des Davor erlebe, den Augenblick der Schwebe. Diesen Zauber will ich bewahren.

Foto: Andreas Dahn

Christa Pfafferott ist Autorin und Dokumentar-filmerin. Sie hat über Macht-verhältnisse in einer forensischen Psychiatrie promoviert. Als Autorin beschäftigt sie sich vor allem damit, Unbemerktes mit Worten sichtbar zu machen.

Bevor der Ballon dann schließlich auf den Boden sinkt, fange ich ihn auf. Im Dunkeln entziffere ich den Text auf der Karte: „Liebe liegt in der Luft.“ Ich drehe die Karte um. Es ist einer der Luftballons, die Menschen mit einer Botschaft in den Himmel steigen lassen, in der Hoffnung, dass sie jemand findet –eine Art Flaschenpost. Noch nie habe ich so einen Ballon gefunden. Jetzt ist er direkt von oben auf mich gefallen.

Der Ballon stieg bei einer Hochzeit auf. Die Gäste konnten dem Paar Wünsche schreiben: „Ein glückliches, erfülltes und zufriedenes Leben zu zweit bis ins hohe Alter unzertrennlich“, schreibt Viola. Die Karte soll an das Brautpaar gesendet werden, circa 25 Kilometer entfernt. Ich stelle mir vor, wie der kleine Luftballon geflogen ist. Den ganzen Weg über mehrere Stunden vielleicht, hin und her getrieben von Wind und Wetter, durch Licht und Dunkel.

Die lange Strecke flog er, bis zu meinem Zuhause, dem Ort, an dem ich wohne, exakt zu dem Zeitpunkt, als ich nach Hause kam. Ein wundersamer Zu-Fall. Wie ein Zeichen. Ein Trost. Ein kleines Wunder. Etwas Unverfügbares. Einfach so geschenkt.

Das Schöne an dem Ballon ist, dass ich ihn sehe, bevor er landet, dass ich den Moment des Davor erlebe

Auf der Karte steht, dass der Wunsch in Erfüllung gehen soll, wenn sie zurückgeschickt wird. Ich denke an Viola, die „bis ins hohe Alter unzertrennlich“ schrieb, dass ich jetzt ein Teil ihres Wunsches geworden bin.

Ich schreibe meine Adresse in das freie Feld auf der Karte, über dem „Fundort“ steht. Am nächsten Morgen gebe ich die Karte in die Post. Sie geht nun ihren Weg zurück. Der grüne Luftballon verliert zwei Tage später an Luft. In meinem Kopf jedoch bleibt er da in der Einfahrt schwebend. Völlig unerwartet aus dunklem Himmel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen