piwik no script img

Christa Pfafferott Zwischen MenschenHarte Eltern,weiche Eltern

Christa Pfafferott ist Autorin und Dokumentarfilmerin. Sie hat über Macht-verhältnisse in einer forensischen Psychiatrie promoviert. Als Autorin beschäftigt sie sich vor allem damit, Unbemerktes mit Worten sichtbar zu machen.

Wie viele Kinder sind es? Drei, vier – nein, fünf. Vier Jungs, etwa zwischen vier und acht Jahre alt, alle hellblonde, kurz geschorene Köpfe, als wäre ihnen jemand mit einem Rasierer mit gleicher Millimeter-Einstellung über den Kopf gefahren. Nur ein Mädchen hat längeres, schief geschnittenes Haar. Die Kinder klettern zwischen den Sitzen umher, belegen mit ihren Eltern eine Vierer-Gruppe im Großraumabteil und dahinter zwei Plätze. Die Mutter sitzt schwer im Sitz mit noch einem Baby im Arm.

Der Vater hat so kurz geschorene Haare wie die Jungs. Er hält sich mit den Händen an der Gepäckablage fest und überblickt die Plätze. Mit jedem Satz blafft er eines der Kinder an. Es ist, als gäbe es nichts, was sie gut machen könnten, außer still zu sein. Harte Eltern, denke ich. Ein Junge, der auf dem Zweiersitz neben dem Mädchen sitzt, schlüpft zu seinen Brüdern. Der Vater packt ihn, zischt: „Du bleibst hier, dass deine Schwester nicht alleine ist.“ Der Junge lächelt verlegen. Zu ihm ist der Vater besonders grob.

Aus dem Gespräch mit der Mutter ist herauszuhören, dass unter den Kindern manche von ihm sind und andere zu ihr gehören. Eine Patchwork-Kombination. Der Vater quetscht sich nun ins Vierer-Abteil, nimmt einen Jungen auf den Schoß. „Wir nehmen dir jetzt mal die Zecken raus.“ Er schiebt ihm das Unterhemd hoch und beginnt tatsächlich etwas aus dem Jungen rauszupuhlen, mit bloßen Händen, mit den Nägeln. Große Hände hat er. Harte Hände, denke ich. Der Zug schaukelt. „Hast du den Kopf?“, fragt die Frau. Der Vater nickt. Ich denke daran, dass Zecken Borreliose verursachen können, wie viel Angst um Zeckenbisse bei Kindern sonst besteht. Es hat etwas Souveränes und auch etwas Grobes, wie der Vater hier die Zecken aus dem kleinen Körper zieht, als nähme er in Kauf, dass es auch schiefgehen könnte. Der Junge hält still, vielleicht hat er gelernt, still zu bleiben. Ich muss an das Lied von Gerhard Gundermann denken über die Liebe zum Kind: „Lass’es weich sein, butterweich sein, so wie deine Alten nie gewesen sind. Die haben harte Hände und ein hartes Herz.“

Als der Vater fertig ist, rutscht der Junge von seinem Schoß, läuft zu dem anderen Jungen auf dem Zweiersitz. Die beiden Jungen spielen nun mit einer alten Zeitung und werfen sie zu der Frau hinter sich. Sie reagiert nicht, schaut starr aus dem Fenster. Dann werfen sie eine Zeitungsseite zu mir. Sie glucksen, ducken sich. Ich möchte ihnen die Freude einer Reaktion schenken, falte aus der Zeitung einen Papierflieger und schieße ihn zu ihnen herüber. „Hey!“, ruft da der Vater. Er schaut die Mutter an und zeigt auf mich: „Die schießt mit Papierfliegern nach deinen Kindern.“

Die Frau dreht sich abrupt um. Aus dunklen Augen funkelt sie mich an. Ein Blick, unter dem mir kalt wird. Sie hat den Wurf wie einen aggressiven Angriff gewertet. Ich bin nun auf alles gefasst.

„Es war lieb gemeint“, versuche ich es. „Ich wollte ihnen eine Freude machen.“ Die Frau schaut mich weiter an, Sekunden vergehen, in denen ich an Selbstverteidigungs-Techniken denke, dann wendet sie sich ab. Ich atme aus. Die Jungs kichern, dann werfen sie wieder eine Zeitung zu mir. Ich verstehe mich selbst nicht, aber ich bastle einen zweiten Flieger und schieße ihn rüber. Die Jungen lächeln, überrascht, dass ich weitermache trotz ihrer Eltern. Sie halten nun jeder einen Papierflieger fest in der Hand, machen damit stille Bewegungen in der Luft, sind so die nächsten Minuten beschäftigt.

Dann steigt die Familie aus. Die Eltern sammeln ihre Taschen ein und die Kinder, klappen einen alten Buggy auf. „Soll ich Ihnen schon mal Ihre Tasche runter stellen?“, fragt mich der Mann. „Danke, wegen der Kinder“, sagt er dann plötzlich.

Es ist, als gäbe es nichts, was die Kinder gut machen könnten, außer still zu sein

„Danke“, sagt auch die Frau.

„Danke, dass du mir den Papierflieger gebastelt hast“, sagt einer der Jungen ernst. Ich freue mich, und ich verstehe es nicht. Woher kam das jetzt? Weil ich trotzdem weitergemacht habe? „Lass’es weich sein“: Vielleicht geht es ja darum. Gegen alle Vorsicht weiter weich zu sein. Vielleicht wird das Harte dann so weich, wie es in Wahrheit ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen