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Ceausescu mit dem Rücken zur Wand

■ Bukarest: Jubeldemonstration für Ceausescu verwandelte sich zur Protestkundgebung: Daraufhin schoß die Polizei / Auseinandersetzungen zwischen Armee und Sicherheitstruppen? / Ceausescu versucht sich mit dem Angebot von Lohnerhöhungen zu retten

Budapest / Belgrad / Wien (dpa/afp/ap) - Gestern nachmittag soll die Polizei auch in Bukarest das Feuer auf DemonstrantInnen eröffnet haben - bei einer Jubelveranstaltung für Ceausescu, die in eine Protestkundgebung umgeschlagen war. Tausende schrien „nieder mit Ceausescu“ und „nieder mit den Mördern“. Mehrere Menschen sollen durch die Schüsse getötet und zahlreiche verletzt worden sein. Wegen des Einsatzes von Tränengas mußte Ceausescus Ansprache unterbrochen werden.

Nachdem die Protestwelle nun auch die Hauptstadt erreicht hat, scheint das Ende näherzurücken. Gestern versuchte Ceausescu noch einmal, das Blatt zu wenden. In seinen Reden ans Volk bot er mehr Kindergeld, bessere Löhne, höhere Renten; in den Auslagen der Geschäfte sollen seit gestern Waren auftauchen, an denen es seit Monaten mangelte. Für den Aufstand machte Ceausescu Ungarn und andere „imperialistische, reaktionäre und chauvinistische Kreise“ verantwortlich.

Aber auch dieser Versuch scheint gescheitert. In Temeswar, wo der Aufstand begonnen hatte, gingen gestern trotz des über die Stadt verhängten Ausnahmezustands nach Schätzungen eines Augenzeugen 150.000 auf die Straße. Nach Angaben der DDR-Nachrichtenagentur 'adn‘ sollen hier in den letzten Tagen 3- bis 4.000 Menschen getötet worden sein. Gestern hätten, so Augenzeugen, die Sicherheitskräfte in Temeswar nicht eingegriffen - „wahrscheinlich, weil sich ganze Gruppen von Armeeangehörigen, darunter auch Offiziere, den Demonstranten anschlossen“. Ähnliches bestätigte auch der ungarische Außenminister Gyula Horn. Demnach soll es an verschiedenen Orten zwischen Einheiten der Sicherheitskräfte und der Armee zu Auseinandersetzungen gekommen sein.

Mehrere Städte seien zudem durch Generalstreiks lahmgelegt. Der evangelische Pfarrer Tökes, an dessen Verhaftung sich die Auseinandersetzungen entzündet hatten, ist noch am Leben. Er berichtete von Folterungen; seine schwangere Frau verlor ihr Kind.

Nach der EG zogen gestern auch die CSSR und die DDR ihre Botschafter zurück. Dagegen meinte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums: „Wir glauben, daß Rumänien in der Lage ist, seine Angelegenheiten richtig zu lösen.“

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