■ Cash & Crash: Grüße von Uncle Sam
An der Börse wird bekanntlich die Zukunft gehandelt. Während auf den europäischen Aktienmärkten derzeit so gut wie nichts los ist, dürfen sich die Anleger an der Wall Street wieder auf das Geldverdienen konzentrieren. Wenn morgen Bill Clinton als 42. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wird, können Börsenoptimisten auf den best case setzen: die US- Wirtschaft kommt langsam in Gang, das Vertrauen wächst, und was die Konjunktur anbelangt, sind die USA nach ihrer dreijährigen Rezession den Europäern zyklisch mindestens um zwei Jahre voraus. Bereits zum Jahreswechsel haben die Börsen, die als Stätten der Marktwirtschaft in Reinkultur gelten, den Führungswechsel in der Weltkonjunktur angedeutet: mußten die deutschen Anleger angesichts miserabler Wirtschaftsdaten und mehrfach enttäuschter Zinshoffnungen 1992 ein Jahresminus von gut fünf Prozent hinnehmen, gab es an der Wall Street einen Gewinn von vier Prozent zu feiern. Wer hierzulande nach erfolgreichen Aktien giert, der muß sie wie Stecknadeln im Heuhaufen suchen. Im letzten Jahr sind die Automobilwerte durchschnittlich um 22,7 Prozent, Maschinenbauaktien um 19 Prozent, Handelswerte um 17 Prozent und Elektronikaktien um 9,4 Prozent gefallen. Anders sieht es in den USA aus. Obwohl die Wall-Street-Indices Dow Jones und Standard & Poors mit derzeit 3.270 beziehungsweise 435 Punkten das steigende Anlageinteresse nicht unbedingt wiederspiegeln, weil sich das Geschäft mehr auf Werte kleinerer Unternehmen im Freiverkehr konzentriert, rollt dort der Dollar. So konnte der Nasdaq-Composite-Index, der schon 1992 um 15 Prozent zulegte, in der letzten Woche gleich reihenweise neue Rekordstände verzeichnen.
Auch daß sich der US-Dollar trotz niedriger Zinsen erholen konnte, gibt den amerikanischen Konjunkturoptimisten recht. Aber die derzeitige Stärke des Greenback spiegelt vor allem die Schwäche Europas wider. Die einsetzende Rezession in Europa macht den Zinsnachteil der US- Währung glatt wett; und schon jetzt hoffen nicht wenige EG- Staaten, daß die USA als neue Konjunkturlokomotive bald der Weltwirtschaft wieder Dampf macht und damit auch Europas Wirtschaft aus dem Schlamassel zieht. Um die steigende Kapitalnachfrage in den USA bedienen zu können, werden die US-Zinsen bald klettern – und damit auch der Dollarkurs. In den Reihen der regierenden Demokraten wird bereits überlegt, den Staat künftig stärker über den Geldmarkt zu finanzieren. Auch sinkende DM-Sätze würden den Dollar beflügeln. Aber bekanntlich verteidigen die Bundesbanker ihren Geldkurs mit geradezu preußischer Disziplin. Erwin Single
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