■ Cash & Crash: Kein Winterschlaf für Bären
Die Börsen spielen wieder einmal verkehrte Welt. Anders als in der Natur halten die Baisse-Bären auf dem Börsenparkett nämlich keinen Winterschlaf – und das zum Leidwesen vieler Anleger. Der Aktienmarkt ist bekanntlich ein weites Feld, auf dem Bullen und Bären, also Haussiers und Baissiers ständig um die Kurse ringen. Und während in Frankfurt angesichts der aktuellen Liquiditätshausse die Bullen noch über die Geldschwemme der inländischen Banken und Industriekonzerne jubeln, lauern die Bären bereits auf neue Beute.
Die Aktienpreise sind, beflügelt von der gnädigen Zinssenkung der Bundesbanker, innerhalb eines Monats um rund 10 Prozent gestiegen, und der Deutsche Aktienindex setzt bereits zum Sprung über die 1.700- Punkt-Hürde an. Doch angesichts von Stahlkrise, Rezession, Massenentlassungen und operativen Milliardenverlusten namhafter Industrieunternehmen wie Volkswagen oder Mercedes dürfte die Stunde der Abzocker nicht mehr lange schlagen. Nimmt man den Miseren-Index als Maß und summiert Inflationsrate, Zinssatz und Arbeitslosenquote auf, kommt man hierzulande auf einen Wert von rund 20 Prozent – es steht mit der deutsche Volkswirtschaft also schlechter als mit der amerikanischen, von der japanischen ganz zu schweigen.
Wer da noch halbwegs optimistische Töne anschlägt, müßte eigentlich sein Lehrgeld zurückzahlen. Geld läßt sich an der Börse erst wieder richtig verdienen, wenn das Zinsniveau deutlich sinkt. Doch wer die Frankfurter Währungshüter, die Schulmeister der Wirtschaft im Lande kennt, weiß, daß daran nicht im Traum zu denken ist.
Daß die Bären nicht nur hierzulande, sondern auch jenseits des Atlantiks auf neue Raubzüge warten, bekam auch Bill Clinton schon zu spüren. Der Präsident hatte noch nicht einmal sein Wirtschaftsprogramm vor dem Kongreß verlesen, da lieferte die Wall Street bereits einen Vorgeschmack auf das, was die Börsianer von Steuererhöhungen halten. Am vergangenen Dienstag brach der Dow-Jones-Index um 80 Punkte ein – das schlechteste Tagesergebnis seit eineinhalb Jahren. Seither herrscht wieder Ruhe, sind doch die Händler nun erst einmal damit beschäftigt, Clintons Drahtseilakt zwischen Wirtschaftsstimulierung und Budgetsanierung auf seine mögliche Flugbahn hin zu analysieren. Doch falls „Slicky Willie“ noch tiefer in die fiskalpolitische Tasche greifen sollte, werden die Börsianer Gift und Galle speien. Mit dem Höhenflug der Börse ist es dann vorbei. Für Clinton wie die Wall Street gilt: Je höher man steigt, desto dünner wird die Luft. Erwin Single
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