■ Cash & Crash: Buy on bad news
Nobody notices, when things go right. Die Börsenregel hat nicht ganz unrecht, denn normalerweise haben die wenigsten Anleger gerade dann investiert, wenn die Post abgeht. Doch diesmal ist es anders: Die Hausse nährt die Hausse, ein Börsenrekord jagt den nächsten.
Am Montag schloß der Dax mit 2.0774,39 auf dem höchsten Schlußstand seiner Berechnung. Die Wirtschaft leidet, die Börse feiert, so einfach ist das, aber natürlich alles ohne Netz und doppelten Boden.
Milliardenverluste und schrumpfende Gewinne bei den Unternehmen, Massenentlassungen, grassierende Defizite bei den Staats- und Sozialhaushalten versetzen die Börse gewaltig in Stimmung. „Buy on bad news“, lautet die Regel. Die Mutigen, auch aus dem Ausland, setzten auf Deutschland. Dahinter steckt natürlich die leise Hoffnung, daß die Firmen, haben sie erst einmal richtig abgespeckt, wieder prächtige Dividenden abwerfen. Und wo soll man denn sonst hin mit dem vielen Geld, wo doch die Zinsen in den Keller fallen. 3,41 Billionen Mark liegen allein in Westdeutschland auf der hohen Kante. Der Notstand treibt ihre Besitzer an die Börse.
Doch an was sollen sich die Anleger denn halten? Nur weil einer viel Aspirin schluckt, muß die Bayer-Aktie nicht unbedingt ein heißer Tip sein. Oder doch? Steigt bald der Autoverkauf bei Mercedes, wenn alles nach Daimler-Aktien greift?
Was vom Expertenrat letztendlich zu halten ist, hat der US- Senator Thomas McIntyre einmal schön demonstriert: Er hängte die Kursnotierungen des Wall Street Journal an die Wand und warf zehn Pfeile. Die getroffenen Aktien wurden gekauft. Auch für den Höhenflug des Dow Jones, der mit 3.673.61 den höchsten Stand aller Zeiten notierte, sprechen vielmehr die mickrigen Geldmarktrenditen von drei Prozent als die wirtschaftlichen Rahmendaten. So verzeichneten die US-Aktienfonds, bei denen der Anleger nicht entscheiden muß, ober er für GM oder Chrysler ist, monatlich Zuflüsse von rund zehn Milliarden US-Dollar. Die große Kunst in den 90er Jahren besteht nur darin, auf keine death-trap stocks zu treffen. Aber gerade in den USA ist die Chance recht groß, ins Fettnäpfchen zu treten.
Böse Geister witzeln schon, die Börse steige, weil Clinton 1996 nicht wiedergewählt werde. Fragt sich nur, ob sich der Zynismus auf Clinton oder die Börse bezieht. „Wir werden die Bullen loslassen“, prahlte schon einmal ein gewisser Ronald Reagan in Jahre 1984. Der Dow Jones kletterte, ja sprang bis zum August 1987 immer weiter in die Höhe – bis auf 2.722,42 Punkte. Dann folgte am 19. Oktober der Crash. Also bitte abspringen, solange der Fallschirm noch aufgeht. Erwin Single
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