■ Cash & Crash: Willkommen in der Spielbank!
Seit Freitag sitzt den Börsianern wieder die Angst im Nacken. Daß sie gelegentlich einen höheren Puls vertragen müssen und nicht zu reinen Unterhaltungszwecken mit Aktien, Obligationen oder Futures herumspielen, ist hinreichend bekannt. Aber die wahre Nervenprobe steht offensichtlich noch aus, sonst würden die Gerüchte nicht derart ins Kraut schießen wie über das Wochenende. Kaum hatte Bill Clinton seinen Notenbankchef Alan Greenspan ins Weiße Haus zitiert, schon tuschelten die Händler schweißgebadet über neue Zinsschrauben, die das Federal Reserve Board den Finanzmärkten auferlegen wollte. Kurz und gut, alles wartet gespannt darauf, ob die geradlinigen Dollar-Hüter den Diskontsatz von drei auf 3,5 Prozent erhöhen oder nicht. Auf derartige Reize reagieren die Händler freilich geradezu mit Pawlowschen Reflexen. Zu Wochenbeginn knickten die Notierungen an der Wall Street wie an den europäischen und fernöstlichen Börsen ein. Nicht wenige Anleger werden sich an den legendären Börsenguru Edson Gould erinnert fühlen, der einst orakelte: „Three steps and a stumble.“ Nach der letzten US-Zinserhöhung vom 4. Februar zogen die mittel- und langfristigen Zinsen weltweit an und führten innerhalb weniger Tage zu einem Kurssturz, der die Weltbörsen um eine Billion US- Dollar erleichterte. Zwar konnte ein Teil der Verluste wieder wettgemacht werden, aber das Gespenst eines Crashs ist geblieben. Zu allem Unbill will in dieser Woche auch noch die Deutsche Bundesbank ihre neue Statistik über die monetäre Entwicklung vorlegen. Schießt die Geldmenge M3 (Bargeld, Sichteinlagen und Termingelder bis 4 Jahre) ähnlich wie im Januar (plus 20,6 Prozent) weit über ihr Ziel hinaus, wird der bekannte Reflex nicht ausbleiben. Nach der letzten US-Zinserhöhung hatten die auf steigende Zinsen spekulierenden Anleger die Geldmenge nach oben getrieben, indem sie ihr Kapital kurzfristig anlegten oder vorübergehend auf Girokonten parkten.
Kein Wunder also, daß die Anlagegelder nervös um den Erdball geschoben werden. Wer aber glaubt, der ganze Rummel hätte keinen Einfluß auf den Güter- und Arbeitsmarkt, der irrt gewaltig. Die von den Zentralbanken immer weniger kontrollierbare Geldmenge wirkt sich nicht nur auf Preisniveau und -entwicklung aus. Schulden und Guthaben wachsen schneller als das Sozialprodukt, die Zinslast verändert das Einkommensgefüge zu Lasten der Durchschnittsverdiener und blockiert die Wirtschaft. Erwin Single
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