■ Cash & Crash: Lesen aus dem Computersatz
Berlin (taz) – Wen haben übelwollende Wirtschaftsjournalisten nicht schon so alles gegen Börsenexperten antreten lassen: Kegelclubs, Müllmänner, Astrologen und sogar Affen. Meistens waren, zumindest in den veröffentlichten Fällen, die Experten bei den Kursprognosen unterlegen.
Der Wahrsagerei treten die seriösen Investmenthäuser mit immer ausgefeilteren Computerprogrammen entgegen. So etwa die Deutsche-Bank-Tochter DWS, die einen Investmentfonds anbietet, der allein den Kauf- und Verkaufssignalen des Rechners folgt. Von der Trefferrate des amerikanischen Sternendeuters Arch Crawford, der bei 80 Prozent seiner Weissagungen über Aktien und Devisen recht behielt, können die DWS-Manager nur träumen. Sie schafften eine Rendite von unter einem Prozent, weniger als ein Sparbuch.
Am beliebsten sind nach wie vor die Chart-Analysen. Durchstößt der Devisen- oder Aktienkurs vorab definierte Trendlinien, blinkt der Rechner „Kaufen“ oder „Verkaufen“. Das System funktioniert sogar. Aber leider nur, wenn nichts geschieht, keine Naturkatastrophe, keine Firmenpleite und keine dumme Politikerbemerkung – also eher selten. Auch die mit Zeitreihen Dutzender Wirtschaftsdaten (Inflation, Zinsen, Wachstum, Produktivität und und und) gefütterten Rechner scheitern daran, daß die Zukunft sich mitnichten linear aus der Vergangenheit entwickelt. Die Welt ist halt kompliziert, und irgendwie hängt alles mit allem zusammen.
Weil Investmentbanker dennoch lieber dem Computer als Wahrsagern oder Müllmännern glauben wollen, setzen sie nun auf eine Art künstliche Intelligenz. Neuronale Netze, verknüpften Gehirnzellen nachempfunden, sollen sich aus einem Wirrwarr von Informationen selber Grundmuster bilden und überdies aus den eigenen Fehlern lernen. Die neuronalen Netze irren selten – wohl aber die Menschen. Auch noch so perfekte Programme sind für Vorhersagen, die über ein paar Tage hinausgehen, darauf angewiesen, daß ihnen Menschen Szenarien für die kommende wirtschaftliche und politische Entwicklung eingeben. Was fehlt, ist der Computer, der Vorhersagen macht, damit Computer Vorhersagen machen können. lieb
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