■ Cash & Crash: Lieber reich als frei
Berlin (taz) – Mit großer Sorge blicken dieser Tage viele Menschen auf die Bermudas. Nicht etwa, weil gerade der Hurrikan Felix über die Inselgruppe brauste. Viel mehr Ängste löst bei vielen die Unabhängigkeitsbewegung in der britischen Kronkolonie aus. Gestern war der Tag des Referendums, welches aber im letzten Moment wegen des Sturms verschoben wurde und wahrscheinlich heute stattfindet.
Wer könnte eigentlich etwas dagegen haben, daß eine Insel endlich unabhängig wird, die immerhin seit 386 Jahren eine Kolonie Ihrer Majestät war? Die Briten vielleicht? Falsch. Es gibt dort nicht viel, was das Mutterland ausbeuten könnte, keine Rohstoffe – außer viel Sand – und keine Landwirtschaft.
Die Inseln vor der Ostküste der USA sind für ganz andere Kreise attraktiv. Je weiter weg von gierigen Steuereintreibern und Staatsanwälten, desto besser, denkt sich so mancher Anleger und schickt sein Geld am liebsten auf abgelegene Inseln, die man Off-shore-Finanzzentren nennt: Hongkong, Bahrain oder die karibischen Inseln.
Was für den deutschen Steuerflüchtling Luxemburg ist, ist für die Amerikaner aus Nord und Süd die Karibik. In dem Steuerparadies werden Dollar gebucht, die längst der Kontrolle der US-Zentralbank entkommen sind: sogenannte Euro-Dollar. Investment-Banken und Versicherungen siedelten sich dort zuhauf an; über 7.000 internationale Unternehmen sind auf Bermuda registriert, mindestens 500 davon haben nichts als ein Messingschild vor Ort.
Aber für den genannten Zweck kommen nur die Kolonien des gediegenen Finanzzentrums England ernsthaft in Frage. Wie praktisch, daß die dortige Währung mitnichten auf Pfund, sondern auf Dollar lautet. Wie viele Euro-Dollar auf Bermuda-Konten gebucht sind, läßt sich nicht ohne weiteres herausfinden – die absolute Diskretion ist es ja gerade, die die Anleger so schätzen –, aber um zig Milliarden handelt es sich in jedem Fall.
Die Cayman-Inseln weigern sich daher bis heute standhaft, unabhängig zu werden – zur Verzweiflung des Dekolonisierungskomitees der UNO. Auf den Bermuda-Inseln, wo das Sozialprodukt je Einwohner um 50 Prozent höher liegt als im britischen Mutterland, will der Premierminister (und Multimillionär) Sir John Swan jetzt doch die Freiheit wagen.
Aber schon steht sein wahrscheinlicher Nachfolger bereit: der radikale Unabhängigkeitsgegner Jim Woolridge. Per Zeitungsanzeige warnte er die 38.000 Wahlberechtigten, mit ihrer Stimme das schöne Geld in die Flucht zu schlagen: „Was hält die Cayman-Inseln davon ab, von unserer Narrheit zu profitieren?“ Umfragen zufolge ist das Kolonialvolk seiner Meinung: 68 Prozent wollen demnach gegen die Unabhängigkeit stimmen. Nicola Liebert
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