Carola Rönneburg : Der sture Gast
Seit dem vorigen Jahr holen wir uns – vollkommen legal! – im Frühsommer einen Urlauber ins Haus. Der bleibt zwei Wochen lang und soll es bei uns gut haben, weshalb wir mindestens weitere zwei Wochen zuvor damit beschäftigt sind, die Räume ansprechend herzurichten. „Schaffe einen gemütlichen Ort“, heißt es auf einem einschlägigen Portal. „Stelle Kissen und Decken bereit und biete mehr Komfort.“
Ob wir das überhaupt machen sollten – Urlauber aufnehmen, nicht Kissen drapieren –, darüber haben wir uns lange Gedanken gemacht. Verwandte und Freunde sind uns jederzeit willkommen. Sie wissen, dass wir uns über ihre Gesellschaft freuen, dass wir gern für sie kochen und später noch lange mit ihnen zusammensitzen mögen. Selbstverständlich machen wir uns noch mal über den Badezimmerspiegel her und fragen uns, wann wir jemals in der Lage sein werden, das alte Gästebett gegen ein neues auszutauschen. Das wäre wirklich nötig. Für ein paar Nächte ertragen es jedoch noch alle.
Mit unserem Urlauber, der nun zum zweiten Mal anreisen wird, verhält es sich anders. Er war uns neu, wir waren ihm neu. Wir sprechen keine gemeinsame Sprache. Als ein älterer Herr von zierlicher Gestalt, mobil und sehr eigen, war er nicht so begeistert vom Gästebett.
Wir erinnern uns an schöne Abende, an denen die Macken unserer Wohnung nachrangig waren. Ernährung allerdings, gar ein Lieblingsessen, war nie Thema. Für eine leidenschaftliche Hobbyköchin wie mich war das schmerzhaft. Unser Gast hatte sich eigene Mahlzeiten liefern lassen. Als schwierig erwies sich auch die Frage, wie präsent ein Urlauber in den Räumen der Gastgeber sein darf.
Gäste sollten „das Gefühl haben, die Unterkunft sei ihr Zuhause“, empfiehlt ein Superhost. Das sehen wir auch so, weshalb wir zwar unsere Schlafzimmertür verschlossen hielten, sonst aber open access gewährten – warum auch nicht? Merkwürdig dennoch, wie unser älterer Herr immer mal wieder die Speisekammer inspizierte und auch uneingeladen mit uns vor dem Fernseher saß.
Wer jemand in seine Privatwohnung aufnimmt, kann dem Gast nicht entrinnen, das ist meine Erkenntnis. Wie will er sonst gute Bewertungen erhalten, sich attraktiv für andere, womöglich unkompliziertere Besucher machen? Deshalb gaben wir unserem Urlauber, so anstrengend er auch manchmal war, bei Diskussionen meistens recht. Von einem Vorfall abgesehen, konnten wir über unterschiedliche Ansichten leicht hinwegsehen, denn wir mochten ihn ja trotz seiner Schrullen.
Wir bereiten uns nun auf ihn vor, verteilen Kissen. Ich leere meinen Papierkorb aus, weil er sich darin gern aufhält. Der oben erwähnte Vorfall drehte sich um meinen Schreibtischstuhl und wer darauf sitzen darf. Es werden wieder schwierige Diskussionen, die ich nur mit dem Hausrecht durchsetzen kann. Grundsätzlich haben wir gegen „Miau, miau!“ jedoch keine Chance.
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