Carla Hinrichs im Interview : „Wir müssen dem System unter die Arme greifen“
Die "Letzte Generation" heißt jetzt "Neue Generation". Carla Hinrichs erklärt, wie und warum sie ein neues Kapitel des Widerstandes aufschlagen wollen.

taz: Frau Hinrichs, das taz lab Thema dieses Jahr ist „weitermachen“. Wie will die "Letzte", beziehungsweise die "Neue Generation" 2025 weitermachen?
Carla Hinrichs: Weitermachen ist ein guter Punkt. Wenn man sich die Weltsituation anguckt, könnte man auch einfach sagen: "OK, jetzt nicht weitermachen, sondern aufgeben". Wir haben entschieden: Jetzt erst recht weitermachen! Egal, wie schlimm es um uns herum aussieht.
Was war der Anlass für die Umstrukturierung und Namensänderung?
Die Situation, in der wir eine Katastrophe noch aufhalten können, entspricht einfach nicht mehr der Realität. Wir stecken schon mitten in der Klimakrise. Sie passiert um uns herum. Die Frage ist also nicht mehr, wie können wir das aufhalten, sondern wie können wir damit umgehen? Wir haben gesagt, wenn die Situation sich verwandelt, dann müssen wir uns auch verwandeln. Wir schlagen ein neues Kapitel des Widerstands auf. Und wie in jedem neuen Kapitel ist das, was davor war nicht weg, sondern die Geschichte geht weiter.
Carla Hinrichs ist Klimaaktivisten. Sie ist Sprecherin der ehm. "Letzten Generation" und war mehrere Jahre Teil des Führungsteams. In Bremen studierte Carla Hinrichs Jura. Seit 2021 unterbricht sie ihr Studium, um sich in Vollzeit dem Kampf gegen die Klimakrise und für soziale Gerechtigkeit hinzugeben.
Wollt ihr jetzt zu sanfteren Methoden übergehen?
Die letzte Generation war darauf ausgelegt, einmal ganz laut „Alarm“ zu rufen und allen noch mal klar zumachen: wir sind in einer richtig katastrophalen Situation und wir können nicht wegsehen. Zu verdeutlichen, dass unsere Regierung, so wie sie gerade ist, nicht in der Lage wäre, der Krise zu begegnen. Die Straßenblockaden waren eine ganz klare zielgerichtete Kampagne. Wenn sich die Situation aber verändert und der Feueralarm nicht mehr reicht, sondern das Haus lichterloh brennt, dann müssen wir uns fragen: Wie schaffen wir es, das Feuer zu löschen? Wie kriegen wir die Menschen da raus? An den Aktionen, wie sich auf die Straße zu kleben, konnte nur ein Teil der Gesellschaft teilnehmen Jetzt wollen wir nochmal alle Leute ansprechen und fragen: Wie könnt ihr Teil einer neuen Generation der Demokratie werden?
Ist die letzte Generation gescheitert?
Nein, ich glaube, dass wir die Menschen wach gerüttelt haben und das hat natürlich gestört. Gleichzeitig haben wir die Dringlichkeit in der Klimakrise zu handeln und das Versagen der Regierung immer wieder auf die Agenda gehoben. Ich sehe die "Letzte Generation" als so erfolgreich an, wie sie sein konnte. Die "Neue Generation" ist nun das nächste Kapitel.
Mit einem „Parlament der Menschen“ wollt ihr die Aufmerksamkeit auf das politische Geschehen richten. Was hat es damit auf sich?
Unsere Demokratie ist nicht demokratisch genug. Viele ältere Männer sitzen im Bundestag, die meisten sind Juristen und fast alle sind weiß. Wen repräsentiert das denn? Es ist viel zu sehr ein System der Profitinteressen und nicht ein Aushandeln wie wir mit einander leben wollen, wie es eigentlich sein sollte. Lobbys haben unglaublichen Einfluss, und Großkonzernchefs können sich einkaufen.
Dem wollen wir jetzt ein demokratischeres Konzept gegenüberstellen: Wir machen unser eigenes Parlament, nämlich das „Parlament der Menschen“. Wir losen eine Gruppe aus, die möglichst repräsentativ für Deutschland ist. Die kommt dann zusammen und erarbeitet ernsthafte Lösungen miteinander. Weil wir nicht die Kontakte aller Menschen in diesem Land haben, ist das beim ersten Mal natürlich nicht ganz repräsentativ. Aber beim nächsten Mal laden wir noch mehr Menschen ein. Wir klopfen an Türen und gehen gezielt auf marginalisierte Gruppen zu. So werden wir mit jedem neuen „Parlament der Menschen“ Schritt für Schritt repräsentativer.
Wie oft wird das Parlament stattfinden?
Das erste große Parlament der Menschen soll Ende Mai auf der Bundestagswiese stattfinden. Und dann wollen wir es immer wieder einberufen, vielleicht entstehen auch irgendwann lokale Parlamente der Menschen. Und vielleicht organisieren sich Stadtteile als Parlamente der Menschen und vielleicht irgendwann Nachbarschaften. Das ist ein Aufbau, glaube ich, der einen langen Atem braucht.
Habt ihr der Parteipolitik und dem Parlamentarismus jetzt abgeschworen?
Eine Demokratie kann demokratischer werden und wir können es schaffen, mehr Menschen einzubeziehen, damit wir Lösungen finden, gerade wenn Krisen weiter eskalieren. Gerade habe ich kein Vertrauen darauf, dass das System den Krisen angemessen begegnen kann. Das Vertrauen wurde gerade bei vielen jungen Menschen wirklich extrem verspielt in den letzten Jahren. Gerade wenn man sich anguckt, wie das Parlament weiter nach rechts rutscht, dann haben wir da ein richtiges Problem. Wir müssen als Bürger:innen dem System unter die Arme greifen.
"Lohnt sich Klimaaktivismus noch?" Rote Bühne, 9 Uhr.