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■ Der Mann, der über Autos gehtCar-Walker Michael Hartmann bestieg Autos im Viertel

Alles drehte sich gestern nachmittag um Michael Hartmann. Der Car-Walker aus München war dem Ruf des Öko-Büros nach Bremen gefolgt, um über falsch parkende Autos im Viertel zu spazieren – mit „freundlicher Unterstützung der Senatorin für Umweltschutz“. Passanten glotzten, Journalisten drängelten sich um Interview-Termine – dem selbsternannten „Öko-Revolutionär“ schien das zu gefallen. Er sonnte sich in der Aufmerksamkeit und stand bereitwillig Rede und Antwort.

„Autos lärmen, stinken und töten Kinder. Dies nur als Grundaussage, um einen Handlungsbedarf festzustellen“, sagt Hartmann über seine Motive. Ein parkendes Auto, das einer Freundin mit Kinderwagen eines schönen Nachmittags im März 1988 den Weg versperrte, brachte den „Pionier des Carwalking“ auf die Idee. Seitdem steigt der heute 29jährige über parkende Autos, geht mitten auf der Fahrbahn spazieren oder läßt sich zum Picknick auf Kreuzungen nieder.

Die Bilanz seiner „praktischen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung“ rattert Hartmann auswendig herunter: „Im Schnitt steige ich über fünf Autos am Tag, also 150 pro Monat. Vom 21. Mai bis zum 2. August 1995 bin ich über mehr als 350 Autos drübergestiegen. In sieben Jahren hatte ich sieben oder acht Prozesse. Habe inzwischen ungefähr 50.000 Schulden, zum größten Teil wegen der Autos. Ich müßte in zwei oder drei Fällen einen Betrag von etwa 10.000 Mark zahlen. Ein Auto ist auf ein anderes draufgefahren, als es gebremst hat. Daran soll ich schuld sein. Ich habe schon einen Offenbarungseid geleistet.“

Deshalb versucht Hartmann aus dem Carwalking Kapital zu schlagen. Für 50 Mark bietet er seinen Kurzfilm „Autoschreck“ an. Ein Car-Walking-Seminar kostet zwischen 200 und 450 Mark. 100 Exemplare seiner Broschüre „Abschlußbericht Michael Hartmann“ sind schon für 40 Mark zu haben. „Irgendwovon muß ich ja leben“, sagt der Autofeind. Einen Beruf hat er nicht. „Ich bin jetzt Carwalker, demnächst vielleicht Aktionskünstler. Ach, was weiß ich. Ich hab' mal Sozialpädagogik studiert. Sechs Semester. Dann hab'ich eine Schreiner-Lehre angefangen. Aufgehört hab' ich wegen der Autos.“

Im Januar 1993 brachte er einen Autofahrer mit einem Sitzstreik mitten auf der Straße derart in Rage, daß der Mann ihn kurzerhand anfuhr. Hartmann wurde am großen Zeh verletzt. Kaum war der Gips runter, mußte er wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr für 13 Wochen in Untersuchungshaft. „Das Landgericht hat mich außerdem zu zehn Monaten mit Bewährung verurteilt. Aber – und das müssen Sie schreiben – der Bundesgerichtshof hat mich freigesprochen. Für die U-Haft habe ich sogar Entschädigung bekommen.“

„Manche Autofahrer sind echt agressiv“, fügt Hartmann hinzu. „Die zeige ich an, die Autonummer habe ich ja.“ Ist Carwalking nicht auch aggressiv? „Mein Gott, die gesamte Welt steht vor einer ökologischen Katastrophe. Es geht darum, die Erde zu retten“, ereifert sich Hartmann. „Da kann man Carwalking doch nicht als agressiv bezeichnen. Das ist passiver Widerstand. Ich bin Pazifist – oder was weiß ich.“ Der Autokletterer macht eine kurze Pause und fingert an seinem blau-rot karierten Schal herum. „Zwei mal war ich schon in der Psyiatrie“, fährt er fort. „In der geschlossenen Abteilung. 18 Stunden und 20 Stunden. Bin aus eigener Kraft wieder raus. Ein Gutachten haben die auch gemacht. Was da drin steht, paßt: Ich bin eine skurile Person und habe einen überdurchschnittlich hohen Intelligenzquotienten von 125,5“, sagt Hartmann und strahlt. Was sonst noch in dem Gutachten steht, verschweigt er. Der „spätpubertäre Sonderling“ hat nach Meinung der Gutachter eine „unreife Persönlichkeit“ und ein „fanatisch gefärbtes aktionistisches Agieren.“ kes

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