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■ Cannescannes„Leben“ – ein Eiertanz

Einen solchen Eiertanz hat man auf Pressekonferenzen nicht mehr erlebt, seit 1989 die Mauer fiel. Der neue Film von Zhang Yimou, „Leben“, hat entschieden politischen Charakter. Er erzählt die Geschichte einer chinesischen Kleinfamilie mit den gestatteten zwei Kindern von den vierziger bis in die siebziger Jahre. Der Sohn stirbt beim Stahlgießen, die Tochter verblutet während der Kulturrevolution. Bleibt ein Enkel. Jeder Blick, jede Träne in diesem Film ist politisch zu verstehen, und das obwohl er selbst schon politisches Unrecht als privates Unglück maskiert, um die Zensur zu umgehen. Freigegeben wurde er bis heute trotzdem nicht.

In der Pressekonferenz aber wird gebeten, keine politischen, sondern doch mehr „künstlerische“ oder „menschliche“ Fragen zu stellen. Natürlich will man, daß Zhangs Film in Cannes laufen kann – er ist schließlich einer der bedeutendsten Regisseure der letzten Jahre. Dafür zahlt man dann auch mit einem Kotau vor den „inneren Angelegenheiten“ des Herkunftslandes. Aber darf man das auch von Journalisten verlangen? Ein Kritiker, der die neuen chinesischen Zensurmaßnahmen mit dem bevorstehenden Jahrestag des Tiananmen-Massakers in Verbindung bringt, wird zurechtgewiesen, als hätte er gerade eine Milliarde Chinesen beleidigt.

Dabei hat sich das Festival selbst zu einem halbherzigen Symbol durchgerungen: Der mittlere Platz des Pressekonferenztisches bleibt leer. Hier hätte Zhang Yimou sitzen sollen, der aus „freien Stücken“ nicht angereist ist. Statt dessen wird eine persönliche Erklärung Yimous verlesen, ein einziger trockener Satz: „Da mein Film in China noch nicht freigegeben ist, habe ich mich entschlossen, nicht anzureisen.“ Auch die anwesenden Repräsentanten des Films, die Hauptdarsteller Gong Li und Ge You und der taiwanesische Produzent Chiu Funsheng, scheinen nur gekommen zu sein, um in langen Sätzen nichts zu sagen. Der Moderator deichselt die Sache: Anekdotische Fragen reicht er solange weiter, bis wieder zehn Minuten vergangen sind. Wortmeldungen, bei denen er politische Fragen vermutet, nimmt er nicht zur Kenntnis.

So geht ein politisches Kalkül auf, auf das auch der Spiegel bei seiner Vorberichterstattung über Zhangs Film hereingefallen ist. Wie ein paar andere Medien auch durfte der Spiegel den Film zwei Wochen vor dem Festival sehen – an sich ein Bruch des Reglements – und den Regisseur interviewen. In seiner Aufgeregtheit, als erster dazusein, durchbrach er die Sperrfrist für die Berichterstattung: den heutigen Tag. Soll er, das öffentliche Interesse ist groß genug. Fragwürdig ist nur, daß er dabei – aus Unkenntnis? – eine Information unterschlug, die im Zusammenhang mit „Leben“ hätte genannt werden müssen – die drastische und vor ein paar Wochen offiziell verkündete Verschärfung der chinesischen Filmzensur, die Filme wie „Leben“ oder „Adieu, meine Konkubine“ in Zukunft unmöglich machen könnte: Internationale Koproduktionen – alle Filme Zhang Yimous und Chen Kaiges gehören dazu – werden zahlenmäßig beschränkt. Die Nullkopien, so heißt es, müssen beim Pekinger Filmbüro abgegeben werde, so daß die Filme nicht mehr unkontrolliert außer Landes können. Außerdem erhielten sieben Regisseure, darunter enge Kollegen Zhangs, Berufsverbot.

Die taz wird die Spiegel-Berichterstattung am Samstag durch einen Hintergrundartikel und ein Interview mit dem Filmhändler Shu Kei aus Hongkong ergänzen. Aus Cannes Thierry Chervel

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