CROSS-SCHLAG: The Day After
■ Nach einem historischen Sonntag kehrte in Wimbledon wieder ernüchternde Tennis-Normalität ein
Mac, der Ordner vom Centre Court, ist heute wieder streng. Gewissenhaft überprüft er die Karten und weist Plätze an. Gestern war Mac anders. Gestern hat er nicht geordnet. Gestern war Mac glücklich. So eine Stimmung hatte er in seinen zehn Dienstjahren noch nie erlebt: „They're doing the wave!“ schrie er und winkte die Leute großzügig und frohgestimmt durch auf die heiligen Sitze des Centre Courts. „Das heute sind echte Tennisfans. Die Besten auf der Welt. Die sollten immer kommen.“
Doch ein historisches Ereignis ist meist einmalig, so auch der zum „People's Day“ umfunktionierte, dereinst spielfreie Sonntag. Wegen des vielen Regens die Tage davor, hatten die Organisatoren widerwillig beschlossen, diesen seit 114 Jahren unantastbaren Tag zusätzlich ins Programm zu nehmen. Und sie verkauften, von den Ereignissen überrollt, die 25.000 verbilligten Karten an alle, die an der Kasse standen. So geschah es, daß Wimbledon einen Tag lang dem Volk gehörte.
Schon zwanzig Minuten vor dem ersten Match platschte „la ola“ rum und rum und rum, die Schiedsrichter wurden lautstark begrüßt, ein schrilles Zischen warnte die Linienrichter, ja richtig zu gucken. Betrat schließlich eine Spielerin oder ein Spieler den Platz, geriet das Volk außer Rand und Band. Gabriela Sabatini wurde vom Dauer- Lachanfall gepackt. „Ich konnte mich kaum einspielen, so lustig war es da draußen.“ Jimmy Connors wurde frenetisch gefeiert. Er verlor zwar, doch jeder seiner Punkte wurde bejubelt wie der Titelgewinn. „Das war mein Publikum. Wo waren sie die letzten 20 Jahre?“ fragte Connors. „Standen sie in der Schlange?“ Nur Martina Navratilova zeterte und jammerte. Sie mußte nämlich auf Court 1 spielen. „Ich bin so eifersüchtig, ach je, so eifersüchtig, auf die, die hier spielen dürfen. Diese jungen Leute benutzen ihre Hände zum Klatschen. Die alten sitzen auf ihren Händen, um sie zu wärmen.“
Am Montag, dem Tag danach, schimpfte sie weiter. Die Händewärmer seien wieder da, hin sei die ganze Stimmung. Jimmy Connors suchte wohl seine Fans beim „Queueing“, denn in Wimbledon kehrte wieder der Dünkel ein. Höflicher Beifall statt Jubel, und erhob sich hier und dort jemand, wollte er nicht die Welle, sondern aufs Klo.
Doch unerhört wird sie bleiben, Steffi Grafs eindringliche Bitte: „Bei Gott, ich hoffe, sie behalten den ,People's Day‘ bei. Das müssen sie einfach, ich war so glücklich da draußen.“ Doch die Snobs vom All England Lawn Tennis Club müssen gar nichts. So ginge es nicht nochmal, schließlich würden ältere Menschen benachteiligt, die nicht in der Schlange stehen könnten, argumentierten sie. Das bisher die nicht so wohlhabenden Menschen benachteiligt wurden, ist hingegen in England üblich.
Und so ist auch Mac sicher: „Wenn sie nochmals sonntags spielen, dann bestimmt nur mit Kartenvorverkauf an verdiente Mitglieder. Es ist ein Jammer.“ Und auch für ihn ist das schönste Tennisturnier der Welt plötzlich nicht mehr dasselbe. Das Wissen, daß die wahren Fans draußen sind, hinterläßt einen bitteren Nachgeschmack. Nicht nur bei Mac. miß
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