CLUB 49 UND CLUB 39, SKOL UND CHEERS, SOFT MACHINE UND IGGY POP, SCHALKE UND DORTMUND, MALVILLE UND BROKDORF – UND DANN IST DA NOCH DER SONNTÄGLICHE SONNTAG : Verschwinden Sie bitte aus meiner Haschraucherkneipe
VON DETLEF KUHLBRODT
Ich wachte um sechs auf, weil so viele Sachen in meinem Kopf herumschwirrten, trieb mich noch eine Weile im Halbschlaf herum, der von Baustellenlärm begleitet war. Als ich schließlich aufstand, war es halb zehn. Der Tag war grau. Ein Kolumnist hatte gefragt: „Was macht Ihnen am meisten Probleme beim Schreiben?“. Ich antwortete: „Selbstzweifel, Stimmungsschwankungen, Existenzangst.“ Die Playstation und das Internet behindern mich, glaube ich, auch.
Eigentlich hatte ich am Abend zu einem Vortrag über Jean Paul gehen wollen. Weil der Vortrag aber nicht um acht wie erwartet, sondern schon um halb sieben begann, verpasste ich das, und bevor der Abend überhaupt begonnen hatte, war er schon aus den Fugen geraten. Zum Glück war die dänische Musikerin Anja Kickbusch gerade mit den „Artificial Brothers“ auf Tournee und spielte im Club 49, um ihr Debütalbum „Don’t pretend“ vorzustellen. Der Club war voll; Anja Kickbusch spielte Gitarre und sang ganz unprätentiös, ein bisschen mädchenhaft und sehr sympathisch. Sie wurde von Carsten (hieß er, glaube ich) begleitet. Es war ein entspanntes Konzert unter Freunden. Sie erklärte, dass „Skol“ auf Dänisch „Prost“ heißt, um dann mit einem „cheers“ dem Publikum zuzuprosten. Und begleitete sich am gegen Ende mit einem Casio-Keyboard aus den 80er Jahren.
Sex im Internet
Auf dem Weg nach Hause noch ein Bier im Club 39, den ich immer gern besuche, wenn ich grad im Club 49 gewesen war. B. erzählte, dass es Ärger in ihrem Haus gebe, weil jemand dauernd Gras raucht und der Geruch ins Treppenhaus zieht. Eine Nachbarin wollte schon die Hausverwaltung informieren. Junge Mädchen hätten es heutzutage sehr schwer wegen dem ganzen Sex im Internet, sagte B. Ich antwortete: „Nicht nur junge Mädchen.“ Außerdem gab es Suppe. So ging der Abend dahin, und das Leben fühlte sich surreal an, weil es so warm war. Bis zum Samstagnachmittag war ich aufgeregt wegen des Fußballspiels zwischen Schalke und Dortmund. In der Weißen Taube gab es viel mehr Dortmund- als Schalke-Fans. Vielleicht waren sie auch nur lauter, weil sie ja gewannen. Irgendwann wollte ein Typ mit einer richtigen Fernsehkamera in die Kneipe hineinfilmen und wurde angebrüllt: „Hier wird nicht gefilmt!“ Und der verstand das dann auch und ging dann wieder. Ich bedankte mich, obwohl ich für Schalke war. Und war nach den zwei Bier leicht betrunken. Matt und niedergeschlagen. Später war es schon fast zwölf. Als einziger Gast saß ich in einer kleinen Kreuzberger Kneipe am Rande der O-Straße. Wir sprachen darüber, ob zu erwarten sei, dass Gras in den nächsten zehn Jahren zumindest in Kreuzberg legalisiert werden würde. Ein dünner Mann kam herein, der ein bisschen an Catweazle erinnerte. Er hatte vorne eine Zahnlücke, war vielleicht 60 und trug einen sorgfältig gedrehten Joint in der Hand. Ob er den hier rauchen dürfe – „Kein Problem“, sagte der Wirt, noch nie hätte er jemandem das Kiffen verboten.
So saßen wir dann am Tresen, hörten Musik von früher – Kraan, Soft Machine oder Iggy Pop – und rauchten mit dem Hippieveteran, der Geschichten von früher erzählte. Krawalldemos gegen Atomkraft; Malville! Brokdorf! Oder wie er vor einigen Jahren Manni Neumeier, den Gründer und Schlagzeuger von Guru Guru, an einem der schönsten Strände in Goa getroffen hätte, wo Neumeier gerade mit einem Musiker von Embryo, einer anderen Krautrocklegende, gespielt hätte. Und dann sei die Polizei gekommen und hätte dem ein Ende gemacht. Wie er zum ersten Mal einen bulgarischen Grenzbeamten zu bestechen versucht hatte, und der wollte das Geld nicht und hätte sie trotzdem durchgewunken. Solche Geschichten. Oder neulich, in einer anderen Kreuzberger Kneipe, wären Polizisten vorbeigekommen, und der Wirt hätte nur gesagt: „Wir sind Haschraucherkneipe hier. Seit 30 Jahren. Was wollen Sie hier?“
Ich konnte mir gut vorstellen, wie er in den 70ern ausgesehen hatte. Was wildes Leben gewesen war, war nun eine Folge von Anekdoten. Gern hörten wir ihm zu. Und als er zu Ende geraucht hatte, ging er vergnügt.
Sonntäglich plätscherte der Sonntag dahin; in der Sonne auf dem Friedhof an der Bergmannstraße, bei einer alten Freundin mit süßem Gebäck und Gesprächen und später dann wieder unter Freunden im schönen Licht im Club 49 am Tresen.