CHRISTIAN RATH ÜBER DAS KARLSRUHER URTEIL ZUR SICHERUNGSVERWAHRUNG : So geht liberale Rechtspolitik
Mit einer so weitreichenden Entscheidung hat niemand gerechnet. Das Bundesverfassungsgericht hat das gesamte Recht der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt. Es ist zwar auch in Zukunft möglich, dass hochgefährliche Strafgefangene nach Verübung der Strafe hinter Gittern bleiben müssen. Doch das Recht der Sicherungsverwahrung muss völlig neu geregelt werden.
Das ist ein herber Dämpfer für Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Die von ihr als großer Wurf gefeierte Reform der Sicherungsverwahrung, die erst Anfang dieses Jahres in Kraft getreten war, wurde von den Verfassungsrichtern gleich wieder versenkt. Die Sicherungsverwahrung, fordern die Richter, soll letztes Mittel sein und so schnell wie möglich enden. Deshalb sollen Verwahrte zum Beispiel einen Anspruch auf Vollzugslockerungen (zum Beispiel begleitete Ausgänge) bekommen. Nur so können sie sich erproben und zeigen, dass eine Entlassung möglich ist. Was sich Leutheusser-Schnarrenberger – zur Vermeidung von Risiken oder aus Rücksicht auf die Union – nicht getraut hat, schreibt das Bundesverfassungsgericht nun vor: Das Urteil ist eine Nachhilfestunde in liberaler Rechtspolitik.
Zugleich stellt das Urteil ein Friedensangebot dar an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Karlsruhe hat die eigene Rechtsprechung korrigiert und beanstandet jetzt ebenfalls die jüngsten Reformen der Sicherungsverwahrung, insbesondere die rückwirkende Verlängerung über zehn Jahre hinaus. Dass die Betroffenen nicht auf der Stelle entlassen oder in die Psychiatrie überführt werden müssen, verstößt zwar gegen die Straßburger Regeln, sollte als Kompromiss aber für Straßburg akzeptabel sein. Karlsruhe hat sich jedenfalls viel mehr bewegt.
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