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Archiv-Artikel

CHRISTIAN BUSSDER WOCHENENDKRIMI Verzettelt, nicht verhackstückt

Die große Tochter hat der Mutter ein Sojadessert zubereitet, die kleine muss noch zum Frühgeigen nach der Suzuki-Methode chauffiert werden: Die widerlich perfekte Familienorganisation ihrer Kollegin Dambeck (Christina Große) setzt Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler) arg zu. Gerade wurde Lindholm vom Mitbewohner Martin verlassen, jetzt muss sie sich allein um den vierjährigen Sohn kümmern, der von ihr ohne Brotdose vor dem Kindergarten abgeworfen wird.

Dass Ingo Naujoks als ewiger Kumpel der familiär etwas nachlässigen Charlotte jetzt aus dem Niedersachsen-„Tatort“ ausgestiegen ist, kann man ihm nicht verdenken. Das Kind der guten Freundin betreute er in den letzten Folgen wie sein eigenes, arbeiten hat man ihn nie sehen. Irgendwann setzt so eine Quasi-Endlos-Elternzeit auch dem größten Softie zu.

Naujoks’ Abgang führt in „Der letzte Patient“ (Buch: Astrid Paprotta) zu einem Fall um eine etwas andere Familie: das Ehepaar Vollmer, das scheinbar jedes ihrer vier Pflegekinder liebevoller betreut als Charlotte das ihre. Darunter ist auch der zurückgebliebene Tim, der als Letzter bei jener Ärztin war, die in ihrer Praxis ermordet wurde. Als Lindholm nachforscht, beschleicht sie der Verdacht, dass er Opfer systematischen Missbrauchs ist.

Das Thema ist groß, Regisseur Friedemann Fromm versucht sich ihm über die Peripherie zu nähern. Das könnte die Sinne schärfen für ein Sujet, das zurzeit dank der RTL II-Pädo-Hetzjagd „Tatort: Internet“ an der Boulevardfront verhackstückt wird. Tut es aber nicht. Zu sehr verzettelt sich die Episode in Familienreflexion, Selbstverleugnungsstudie und Einsamkeitsdrama. Immer wieder führt die Handlung zu einem Videotagebuch, in dem die Ermordete Auskunft über ihr verhunztes Beziehungsleben gegeben hat. So leidet der Krimi als Ganzes unter dem, was die gefilmten Stimmungsbefunde der bitteren Ärztin prägt: Er hat keinen Fokus.

Niedersachsen-„Tatort“: „Der letzte Patient“, So., 20.15 Uhr, ARD