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Archiv-Artikel

CHRISTEL BURGHOFF GENERATION CAMPER Warum nicht einfach Rilke?

Was schenke ich einem mir nicht näher bekannten Briten? Was ist ein typisches Souvenir aus Deutschland? Würde ich nach Japan reisen: kein Problem. German Style ist Fisslertopf oder Zwilling-Nagelset, ist Birkenstock, von mir aus auch eine Kuckucksuhr. In den japanischen Souvenirgeschäften rund um die Frankfurter Paulskirche sind „Qualitätsprodukte“ bei japanischen Touristen der absolute Renner. Aber was mögen Briten?

Nachfrage im British Book Shop: „Schenken Sie doch Poems!“ Gedichte? Keine schlechte Idee. Die Tiefe, das Gefühl, die Ernsthaftigkeit, die Romantik, die Sprache, das Denkertum – ein Hauch Weimar könnte gut ankommen. Aber bitte zweisprachig, in Deutsch und Englisch, so mein Wunsch. Was da vorrätig ist? Wir sichten die Regale: Und es findet sich der allgegenwärtige Goethe. Es gibt ihn in zwei verschiedenen Ausgaben. Aber neben Goethe keinen weiteren deutschen Dichter – bis auf Rainer Maria Rilke. Und den gleich fünfmal. In wunderschönen Editionen. Warum so viel Rilke?

Anders gefragt: Warum eigentlich nicht? Wie automatisch spule ich Erinnerungen an andere Zeiten und frühere Lektüre ab, Gedichtzeilen bahnen sich ihren Weg. Klar, dass der „Panther“ wieder auftaucht, das gefangene Tier im Käfig, sein „Blick“, vom „Vorübergehn der Stäbe so müd geworden“, sein „weicher Gang geschmeidig starker Schritte … ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte …“ Logisch, das waren Schulzeit und Pubertät, das war viel zu viel Kraft, aber eine Welt voller Stäbe. Mit dieser Art Gefangenschaft konnten wir uns gut identifizieren. Und dann, dieses Herbstgedicht, Melancholie für Ältere, dieses „Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß … Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben …“ Verse zum Heulen schön. Heute bin ich ganz deutsch. Heute kaufe ich Rilke.