CHIRURGEN, COWBOYS, BIENEN UND SOGAR EIN BROKKOLI : K wie K17, Karneval und Köln
VON JURI STERNBURG
Das mit dem Gras war nun wirklich zu viel des Guten. Der Türsteher des K17 hatte uns bereits vorher mit Argusaugen beobachtet, als jedoch jemand auf die Idee kam, sich eine Sportzigarette zu drehen, war der Drops gelutscht. Freundlich, aber bestimmt wurden wir gebeten, das Etablissement zu verlassen. „Es geht hier vielleicht nur um einen Joint“, erklärte er ganz im Sinne von Rudi Giuliani, „aber genau, weil wir so was sofort unterbinden, sind wir der einzige Club in Berlin, in dem die Türsteher keine stichsicheren Westen tragen müssen.“
Diese Aussage ist natürlich komplett an den Haaren herbeigezogen, aber die Zeit, in der ich mit Türstehern diskutiere, ist längst vorbei. Mund abwischen und weiter. „Wollen wir nicht nach Köln fahren?“ Die Idee kam überraschend, aber machte durchaus Sinn. Erstens war Karneval, zweitens hatten wir ein Auto und drittens wartete in Köln eine Bande von Musikern, die mehrere Hotelzimmer ihr eigen nennen durften. Gesagt, getan, kurz darauf fuhren wir in den Sonnenaufgang.
Als Berliner hat man den Karneval in der Vergangenheit selbstverständlich extrem vernachlässigt. Weder Kamelle noch Büttenreden kamen mir bisher ins Haus, und das ist auch gut so. Bereits auf der Fahrt sinnierte ich darüber, ob ich mich mit diesem sehr deutschen Schunkelfest anfreunden würde. Man hört ja so viel.
Angekommen im Hotel, nahmen wir erst mal die Zimmer in Beschlag. „Sind Sie Whigfield?“, fragte der Rezeptionist und verriet damit unfreiwillig, dass wir im gleichen Hotel wie die leicht in die Jahre gekommene 90er-Jahre-Ikone mit ihrem „Uffta Uffta“-Dauerbrenner „Saturday Night“ wohnen würden. Ich verneinte, nicht ohne zu erwähnen, dass diese Frage ein Highlight in meinem Leben darstellt, staubte ein paar Zimmerschlüssel ab und bereitete mich innerlich darauf vor, besagter Whigfield einen Heiratsantrag zu machen.
In den Straßen Kölns reihten wir uns in den erstbesten Karnevalsumzug ein und bewarfen kleine Kinder mit Schokoriegeln. Anscheinend war das aber nicht so gern gesehen, niemand wollte uns für längere Zeit in den Reihen der straff organisierten Karnevalsvereine dulden, die fehlenden Kostüme trugen maßgeblich zu unserer Enttarnung bei. Also retteten wir uns in eins der vielen Festzelte, wo glücklicherweise die Punkband „Die Kassierer“ gerade aufspielte.
Ich habe ja bereits viel gesehen, vom Berghain, über das Baumblütenfest bis hin zum KitKat-Club, aber der folgende Anblick sollte mich fürs Leben prägen. Während der Sänger wie üblich nackt über die Bühne stolzierte und seinen hart erarbeiteten Bierbauch präsentierte, wurden wir Zeuge des ehrlosesten Besäufnisses, was wir je erleben durften. Chirurgen, Cowboys, Bienen und sogar ein Brokkoli, alle vereint in der Glückseligkeit des exzessiven Bierkonsums. Die alkoholgeschwängerte Luft und die tanzenden Körper sorgten für einen ununterbrochenen Regen aus Schweiß, der vom Bierzeltdach zurück auf seine Verursacher tropfte, jede Gelegenheit wurde genutzt, um wildfremden Menschen in die Arme zu fallen, und jede dunkle Ecke für private Vergnügen missbraucht. Sodom und Gomorrha.
Irgendwann in den Morgenstunden verließen wir diesen Ort der komprimierten Schande und bestellten uns ein Großraumtaxi. Nach einer knappen halben Stunde Wartezeit war ich bereits in Stänkerlaune und wollte den Taxifahrer beschimpfen. Doch dann öffneten sich die Türen und Whigfield entstieg dem Taxi, engelsgleich und schwebend. Ich kramte in den Windungen meines Gehirns nach dem vorbereiteten Text, aber alles, was mir einfiel, war: „Möchtest du mich heiraten?“ Auf die Antwort warte ich immer noch, das ist aber immerhin kein Nein.