CHILE – NIEDERLANDE IN DER FABELHAFT-BAR UND IM FLOOR’S-CAFÉ : Auch käselos ein Vergnügen
VON JENS UTHOFF
Ich hatte ja auf Käseplatte gehofft, so völlig klischeeunbeladen. Aber statt festes Gelbes auf dem Teller gibt es nun erst mal nur flüssiges Gelbes im Glas, vom Fass. Farblich ist in den Sitzreihen vor der Leinwand viel Orange zu sehen – schon am Eingang der Kneipe waren eine Mischung aus Wimpel und Krawatte in Oranje und jede Menge Fähnchen zu bewundern.
Kurz nachdem ich Platz nehme, stellt sich mir Sitznachbar Gerwin, Ex-Amsterdamer und Wahlberliner mit (natürlich orangenem) Kirmes-Tiger-Shirt, vor. „Cheers!“ – „Auf Arjen!“ Arjen – gemeint ist natürlich Arjen Robben – lässt derweil mit seinen Kunststücken noch etwas auf sich warten.
In der Fabelhaft-Bar hat sich schon zum Anstoß eine große niederländische Fangemeinde eingefunden, als das letzte Vorrundenspiel der Kicker aus dem Nachbarland am frühen Montagabend gegen Chile beginnt. Sowieso scheint die Kreuzberger Schönleinstraße zur WM ein vorzüglicher Anlaufpunkt für holländische Exilanten zu sein. Denn sowohl die Bar als auch das benachbarte Café Floor’s wird von Niederländern betrieben und in beiden werden Oranje-Spiele übertragen – angesichts der derzeitigen Beflaggung und des „Hup-Holland-Hup“-Schriftzuges im Fenster des Cafés kaum zu übersehen.
Die ruppige, intensive, aber nicht sehr spektakuläre erste Hälfte wird im dunklen Kneipenraum hauptsächlich mit Fachsimpeln verbracht – man spricht über die weiteren Aussichten der ewigen Vizeweltmeister bei dieser WM. Dass das niederländische Selbstbewusstsein gerade rein fußballmäßig aus allen Nähten platzt, spürt man hier zwischen Berts und Femkes und Gerrits. „Ihr solltet schon schauen, dass ihr Gruppenerster werdet, sonst trefft ihr wahrscheinlich auf Brasilien“, sage ich zu Sitznachbarn Gerwin. „Na und?“, entgegnet der nur. „Die waren nicht stark bisher.“ Dass man hier in der Oranje-Exilgemeinde von „wir“ spricht, wenn man vom holländischen Team redet, scheint im Übrigen selbstverständlich.
Ein großer Auftritt kommt dann doch noch von Arjen Robben in Hälfte eins. Während Robben über das ganze Feld sprintet und eine kleine Slalomeinheit um Chiles Abwehrspieler herum absolviert, steigt der Dezibelpegel. Gerwin brüllt: „Come on! Go on!“. Leider verzieht Robben beim Torschuss, sonst wäre es ein Maradona-86-England-Gedächtnistor geworden. Fast. Gerwin flucht.
Das ist erst der Anfang!
Halbzeit. Auch Joret und Bonno, beide mit Oranje-Hüten und in Montur, sind nicht ganz zufrieden. Sie verfolgen das Match draußen vor dem benachbarten „Floor’s“. „Nicht so schön anzusehen, das Spiel“, sagt Bonno, „aber gegen Spanien neulich das war schon ziemlich gut.“ Ziemlich gut. Die reden hier alle, als sei das erst der Anfang! Auf ein mögliches Aufeinandertreffen Deutschlands und der Niederlande angesprochen, reagieren Joret und Bonno aber dennoch überraschend zurückhaltend – und fangen an, von 1974 zu reden, als beide vermutlich noch nicht einmal geboren waren.
„California uber alles“ von den Dead Kennedys läutet kurz darauf in der Fabelhaft-Bar Halbzeit zwei ein. Die zweite Hälfte wird besser und amüsanter – auch, wenn es nach wie vor an Käsehappen mangelt. Leroy Fer heißt der Mann, der dafür sorgt, dass die Herren mit orangenen Leibchen und Damen in gleichfarbigen Kleidern aufspringen: Er köpft das 1:0 in São Paulo, das die Niederländer auf die Siegerstraße bringt. Als Louis van Gaal beim Jubeln eingeblendet wird, geht das Gejubel über in Gelächter – zum „Feierbiest“ van Gaal haben die meisten hier wohl ein ambivalentes Verhältnis.
Mit dem 2:0 in der Nachspielzeit – einem großartigen Power-Konter über Robben – wird der Abend im Fabelhaft endgültig zur Sause Hollandaise. Man feiert den Gruppensieg später noch mit Wein, Sekt und Bier auf dem Bürgersteig. Und irgendwie hat man nach wie vor das Gefühl, als sei dies alles für die Orangegekleideten erst ein – wenn auch vergnügliches – Vorspiel. Ein schöner Vorabend, auch käselos ein Vergnügen. Bedankt!
Heimmannschaft: Niederlande
Gästeblock: herumstreunende Kreuzköllner
Stadionimbiss: Kuchen, Sandwiches, supergute Salate im Floor’s
Ersatzbank: ungefähr jeder Späti im Umkreis von einem Kilometer
Rote Karte: Leichter Snob- und Artyfarty-Faktor im Café Floor’s