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Archiv-Artikel

CDU-WAHLKAMPF: IM OSTEN FEHLEN DIE ABSOLUTEN GEWISSHEITEN Merkel und der Möglichkeitssinn

Mit solchen Sätzen wird es den Christdemokraten gewiss nicht gelingen, ihre besondere Kompetenz für Ostdeutschland unter Beweis zu stellen: Die Partei müsse ihre Politik im Osten noch sorgfältiger erklären, sagte CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach gestern, weil die Menschen „dort“ vielfach Angst vor Veränderungen hätten. Aus dem Mund eines Westdeutschen klingt ein solcher Satz überaus kurios. Die Bewohner der östlichen Bundesländer haben in den vergangenen fünfzehn Jahren in allen Bereichen ihres persönlichen Lebens eine durchgreifende Umwälzung der Verhältnisse erlebt, von der sich die meisten Altbundesbürger kaum eine Vorstellung machen – und die viele von ihnen, wenn sie selbst in einer solchen Lage wären, wohl kaum so erfolgreich meistern könnten.

Aus dieser Erfahrung folgt dann auch, dass der Glaube an letztgültige Gewissheiten im Osten weit weniger verbreitet ist als im Westen. Daraus erklären sich die krassen Schwankungen im Wahlverhalten – von Kohl 1990 über Schröder 1998 zu Gysi und Lafontaine in den jüngsten Umfragen 2005. Der Zulauf zu Linkspartei mag sich im Westen aus der Angst vor Veränderung speisen, im Osten ist das weit weniger der Fall. So ist auch die WASG des Westens in ihren politischen Ansichten oftmals dogmatischer als die alte PDS, die in Berlin wie in Mecklenburg-Vorpommern durchaus pragmatische Regierungsfähigkeit beweist.

Die feste Grundüberzeugung, das politische und ökonomische System der alten Bundesrepublik sei fest gefügt für alle Zeiten, ist im Osten kaum verbreitet. Das führt regelmäßig zu alarmistischen Warnrufen vor mangelndem Demokratiebewusstsein, wenn die entsprechenden Umfragezahlen veröffentlicht werden. Letztlich ist es aber nur ein Ausweis von Möglichkeitssinn. Das betrifft im Übrigen beide Seiten des politischen Spektrums – ob es die Forderungen nach Systemveränderung auf der Linken sind oder Angela Merkels Kopfpauschale, die von einem Westpolitiker kaum mit dieser Radikalität durchgefochten worden wäre. Insofern ist Merkel durchaus sehr ostdeutsch geprägt, auch wenn es die ostdeutschen Wähler derzeit in den Meinungsumfragen nicht honorieren.

RALPH BOLLMANN