CDU-Politiker Altmaier über Atomkurs: "Grüne und Union sind koalitionsfähig"
Die AKW-Debatte habe an Brisanz verloren, meint der CDU-Politiker Peter Altmaier. Er verteidigt die Atompolitik von Schwarz-Gelb, sagt aber auch, alle Gesetze sind reversibel.
taz: Herr Altmaier, Schwarz-Gelb wird heute im Bundestag die AKW-Laufzeiten verlängern. Sie schüren damit einen gesellschaftlichen Großkonflikt. Warum riskieren Sie das?
Peter Altmaier: Es wird zu keinem gesellschaftlichen Großkonflikt kommen. Die Union stellt ja den Ausstieg nicht infrage. Wir verlängern moderat die Laufzeiten, mehr nicht. Die AKW-Debatte hat erheblich an Brisanz verloren. Denn es gibt den Konsens, dass wir mittelfristig auf erneuerbare Energien umstellen.
Genau diesen Konsens kündigt Schwarz-Gelb heute auf.
Peter Altmaier 52, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Er ist zudem einer der wenigen EU-Beamten in der deutschen Politik, hier aber zurzeit beurlaubt.
Nein, auch die Union will den Übergang zu erneuerbaren Energien. Deshalb haben wir den rot-grünen Ausstieg nicht rückgängig gemacht, sondern nur dessen unrealistische Teile verändert.
Und die Anti-AKW-Demonstrationen und die Proteste gegen den Castor-Transport? Beeindruckt Sie das nicht?
Demonstrationen gehören zum politischen Meinungskampf. Mir fällt auf: Die Demonstrationen waren bisher friedlich und sachlich. Das sind nicht mehr die ideologischen Konflikte der 70er und 80er Jahre. Die Grünen haben im Atomkompromiss mit Schröder anerkannt, dass die AKWs noch eine Zeit weiterlaufen werden. Atomkraft taugt auch aus Sicht der Grünen nicht mehr für ideologische Debatten.
Cem Özdemir sagt: "Ein Bündnis mit einer CDU, die die Atomkraft verlängern will, ist undenkbar." Also Schluss mit Schwarz-Grün. Ist es das wert?
Seit ich mit Cem Özdemir in der Pizza-Connection in den 90er Jahren angefangen habe über Gemeinsamkeiten zwischen uns zu reden, hat sich das Verhältnis von Grünen und CDU verändert, zum Positiven. Grüne und Union sind, siehe Hamburg und Saarland, prinzipiell koalitionsfähig. Ich glaube nicht, dass die Spitze der Grünen die Tür für Schwarz-Grün endgültig zuschlagen will.
Renate Künast hat es schon klacken gehört, als die Union die Tür zu Schwarz-Grün zuzog.
Türen, die zu sind, kann man wieder öffnen. Niemand hat den Schlüssel herumgedreht.
Das heißt: Schwarz-Gelb beschließt heute die Laufzeitverlängerung. Aber 2013 ist wieder alles verhandelbar?
Wir haben die Laufzeitverlängerung 2009 angekündigt. Dafür sind wir gewählt worden. Es ist legitim zu tun, was wir angekündigt haben. Grundsätzlich sind alle Gesetze reversibel.
Würde die Union die Laufzeitverlängerung für Schwarz-Grün 2013 rückgängig machen?
Das ist die völlig falsche Frage. Wir kämpfen dafür, die bestehende schwarz-gelbe Koalition fortzusetzen. Auch 2013.
Sie sind meilenweit von einer schwarz-gelben Mehrheit entfernt.
Für Gerhard Schröder haben die Umfragen fast nie gut ausgesehen. Trotzdem hat Rot-Grün sieben Jahren regiert. Also Vorsicht. Keiner weiß, was in drei Jahren ist. Klar ist aber, worum es jetzt geht. Union und Grüne sollten dafür sorgen, dass der gesellschaftliche Konflikt nicht eskaliert. Es gibt ja auch Gemeinsamkeiten. Wir wollen beide die erneuerbaren Energien fördern.
Genau das verhindern Sie mit der Laufzeitverlängerung, die die Erneuerbaren nicht fördert, sondern bremst.
Wir müssen unsere ehrgeizigen Klimaziele erreichen. Und wir müssen Arbeitsplätze sichern, auch in energieintensiven Branchen. Das wird mit Kernkraft viel leichter. Wir müssen die Zeit nutzen, um Speichertechniken und Netze auszubauen und in der EU für erneuerbare Energien zu werben. Und verhindern, dass aus der EU billiger Atomstrom nach Deutschland importiert wird.
Deutschland exportiert derzeit Strom.
Das war in den letzten zehn Jahren mal so, mal so. Ich glaube, wir werden erst in den nächsten ein, zwei, drei Jahren feststellen, welche konkreten Auswirkungen die Laufzeitverlängerung haben wird. Aber: Wir werden das erste EU-Land sein, das seinen Bedarf wesentlich aus regenerativen Energien deckt.
Warum aber meinen viele Wissenschaftler, dass die Laufzeitverlängerung den Umbau enorm verzögert. Haben die alle keine Ahnung?
Wir haben unsere Entscheidung auf schlüssiger wissenschaftlicher Grundlage gefällt. Andere berufen sich auf andere Wissenschaftler. Das kommt vor.
Wenn Sie Ihre Argumente so schlüssig finden, warum geben Sie die Abstimmung dann nicht frei? Eine Entscheidung, die Risiken über Jahrmillionen betrifft, ist eine Gewissensfrage.
Ich darf daran erinnern, dass laut Grundgesetz alle Abstimmungen im Bundestag frei sind.
Wir dürfen daran erinnern, dass es einen Fraktionszwang gibt. Heben Sie den auf?
Ich bin seit einem Jahr parlamentarischer Geschäftsführer. Ich habe noch in keinem einzigen Fall Druck auf "Abweichler" ausgeübt. Aber in diesem Fall wünschen wir, dass die Mehrheitsentscheidung der Fraktion von möglichst vielen Abgeordneten geteilt wird. Ich gehe davon aus, dass es bis auf ganz wenige Ausnahmen auch geschieht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“