CDU, Partei des Stillstands : KOMMENTAR VON JENS KÖNIG
Eine Parteitagsrede von Angela Merkel, drei Stunden Generaldebatte über Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sowie die Wahl einer neuen Parteiführung haben ausgereicht, um den bedrückenden Zustand der CDU ein weiteres Mal zu offenbaren: Sie ist eine Partei des Stillstands geworden, unfähig zum geistigen Aufbruch, zu feige zu ernsthafter Auseinandersetzung.
Eindrucksvoller als in Dresden hätte die CDU ihre Krise gar nicht unter Beweis stellen können. Da stimmt die Partei dem Rüttgers-Antrag für eine längere Zahlung des Arbeitslosengeldes an Ältere (angeblich sozial) nur zu, weil sie gleichzeitig den Oettinger-Antrag für mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt (angeblich freiheitlich) beschließen darf. Da lässt die Parteichefin diesen hoch symbolischen Streit erst wochenlang laufen – und dann versucht sie auf dem Parteitag, ihn mit den Worten aufzulösen, dass er gar kein Streit sei, weil die beiden Anträge ja zusammengehörten und die CDU doch eine „Politik für alle“ mache. Und schließlich sind da 1.001 Parteitagsdelegierte, die diese Merkel-Mischung aus taktischer Kaltschnäuzigkeit und Täuschung der Öffentlichkeit mit minutenlangem Beifall bedenken.
Die CDU ist eine Volkspartei, die ihr Selbstverständnis verloren hat. Das machte die erfreulich offene Parteitagsdebatte in seltener Schonungslosigkeit deutlich. Die Christdemokraten wissen nicht mehr, was soziale Marktwirtschaft in einer globalisierten Welt eigentlich ausmacht und wie Gerechtigkeit hergestellt werden kann – ob durch mehr Wettbewerb, mehr Staat oder mehr Bildung.
Die Angstdebatte, die Jürgen Rüttgers angestoßen hat, ist nichts anderes als ein Ausdruck dieser Orientierungskrise und nicht etwa Teil ihrer Lösung. Die Partei kann über diese Fragen keinen Konsens mehr herstellen. Ihre Integrationskraft schwindet, sie zerfällt in einzelne Flügel, Gruppen und Milieus. Die einen sagen, die CDU sei zu sozialdemokratisch, die anderen, sie sei zu kapitalistisch. Und an der Spitze steht eine mit 93 Prozent wiedergewählte Frau, deren Erfolgsgeheimnis ausgerechnet in ihrer programmatischen Unsichtbarkeit besteht. Man könnte fast Mitleid bekommen.
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