CDU-Kenner Dettling: "Merkel wartet auf andere Mehrheiten"
Warnfried Dettling glaubt nach dem Linksschwenk der SPD nicht an einen Rechtsruck der Union. Im Gegenteil: Merkel habe aus ihrer Wahlniederlage 2005 gelernt, dass sie öfter "Gerechtigkeit" sagen muss
taz: Herr Dettling, die CDU regt sich mächtig über den "Linksruck" der SPD auf. Was ist von diesen Vorwürfen zu halten?
Warnfried Dettling war von 1973 bis 1983 zunächst Leiter der Planungsgruppe, später auch der Hauptabteilung Politik in der CDU-Bundesgeschäftsstelle; danach bis 1991 Ministerialdirektor im Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Heute lebt als Publizist und Politikberater in Berlin. Seine Schwerpunkte sind der Wohlfahrtsstaat und die Parteien. Zuletzt erschien sein Buch "Die Stadt und ihre Bürger"
Warnfried Dettling: Das gehört zum üblichen Schlagabtausch nach Parteitagen. Die CDU will die SPD aus der Mitte verdrängen und in der Nähe der Linkspartei ansiedeln. Der Vorwurf ist übertrieben, enthält aber einen wahren Kern: Der SPD-Parteitag sollte eine verwundete Partei aufrichten, die Reihen schließen. Dafür hat die SPD einen hohen Preis bezahlt. Ich würde nicht von einem Linksruck sprechen, aber von einer Rückkehr zu alten ideologischen Sicherheiten.
Kommt jetzt im Gegenzug der "Rechtsruck" der Union?
Ganz im Gegenteil. Die CDU scheint die Lektion aus der fast verlorenen Bundestagswahl 2005 gelernt zu haben. Sie wird nicht weniger sondern mehr von Gerechtigkeit reden. Eine ganz andere Frage ist es, was passiert, wenn die SPD eines Tages in einem westlichen Bundesland Erfolg hat damit: durch Spaltung (in SPD und Linkspartei) zur gemeinsamen Regierung. Es könnte sein, dass dann einige in der Union in die alte Waffenkammer gehen und die Idee einer Partei rechts von der Union hervor kramen. Ich halte das aber nicht für wahrscheinlich und schon gar nicht für erfolgreich.
Merkel wird oft bescheinigt, sie habe eine "Sozialdemokratisierung" der Union betrieben. Trifft das zu?
Eine oberflächliche Etikettierung. Angela Merkel hat aus dem Wahlergebnis 2005 gelernt. Sie weiß, was in der großen Koalition nicht geht. Sie wartet auf andere Mehrheiten. Was heißt Sozialdemokratisierung? Es waren Kohl und Blüm von der CDU, die in den 1980er Jahren die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf europäische Rekordhöhen getrieben haben, leider auch die Langzeitarbeitslosigkeit und die Ausmusterung älterer MitarbeiterInnen.
Die große Koalition hat die Mehrwertsteuer erhöht, die Unternehmensteuern gesenkt und die Rente mit 67 eingeführt. Jetzt werden noch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt. Die CDU müsste doch rundherum zufrieden mit der Großen Koalition sein?
Ich bin schon lange der Meinung, dass sich die Große Koalition sehen lassen kann. Zu ihrer Liste würde ich noch den Paradigmenwechsel in der Familienpolitik, die neue Tonart in der so genannten Migrationspolitik ("Integrationsland Deutschland") und die ehrgeizigen Ziele in der Klimapolitik nennen. Was noch kommen wird, ist wohl eine Reform der Erbschaftssteuer und der Föderalismusreform zweiter Teil.
Wissen Sie, was Frau Merkel eigentlich über die Erhöhung des Arbeitslosengeldes denkt?
Ich weiß es nicht, aber ich vermute mal: Sie hält sie nicht für der Weisheit letzten Schluss, steht eher auf der Seite der meisten Experten, die in der Verkürzung der Bezugsdauer die bisher wirksamste Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vor allem bei den älteren ArbeitnehmerInnen sehen. Aber sie sieht darin auch nicht den springenden Punkt, den Casus Belli, um die Koalition zu riskieren.
Braucht es nicht in zentralen Fragen deutlichere Worte der Kanzlerin?
Schwer zu sagen. Vielleicht gilt für sie als Motto am ehesten die alte römische Wendung: Suaviter in modo, fortiter in re. Zivil in den Umgangsformen, aber verbindlich in der Sache. Das ist im Vergleich zu Gerhard Schröder ja auch nicht so schrecklich schwierig, aber doch entscheidend, um notwendige Veränderungen einzuleiten. Die Familienpolitik ist ein gutes Beispiel. Im Unterschied zur Agenda 2010 ist hier ein Paradigmenwechsel gelungen, der anschlussfähig ist an Werte und Traditionen der CDU. Wer Familienwerte bewahren will, muss dies anders machen als in den 50ern. Ohne die Kanzlerin im Hintergrund wäre dies nicht möglich gewesen.
Kann Merkel mit ihrem zurückhaltenden Stil langfristig Erfolg haben?
Ich denke, viele Menschen empfinden diesen Stil angenehm. Die Inszenierungen, in denen Politiker ideologisch hoch gerüstet aufeinander losgehen, wirken ja eher komisch. Unterschiede bleiben, und sie werden im Wahlkampf 2009 sichtbar werden.
Was wird das wichtigste Wahlkampfthema im Jahr 2009 sein?
Die SPD wird mit Mindestlohn und dem Motto keine weiteren Zumutungen als soziale Gerechtigkeitspartei alten Zuschnitts ins Rennen gehen - und wie der Hase entdecken, dass der Igel in Gestalt der Linkspartei immer schon da ist. Die CDU wird auf ihre Wirtschaftskompetenz bauen, aber anders als 2005 die Gerechtigkeit nicht der SPD überlassen. Wenn es bis dahin irgendwo im Westen eine rot-rote Landesregierung gibt, werden wohl die alten Fahnen ("Freiheit statt Sozialismus") wieder ausgerollt. Und danach - ist eine Neuauflage der großen Koalition nicht ausgeschlossen.
INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF
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