CAPITAIN PETZEL : Sammellust und Lesefieber
Kann schon mal passieren, dass man Halluzinationen bekommt, wenn man sich zu lange in der Bibliothek aufhält. Tausende von Studenten und Teilzeitbewohnern der StaBi werden das bestätigen können. Wenn dann plötzlich eine nackte Riesin auf dem Treppenabsatz zwischen Lehrbuchsammlung und philologischer Abteilung auftaucht, hilft nur: weitergehen, am besten treppabwärts und schnell nach draußen. Jeff Walls kurios inszeniertes Foto „The Giant“ weist den Weg in die Ausstellung „The Feverish Library (continued)“ in der Galerie Capitain Petzel, deren große Ausstellungsräume gleichfalls über mehrere Treppen verfügen. Im Keller läuft eine Filmcollage des Architekturmuseums der TU München mit Bibliotheksszenen aus 60 internationalen Spielfilmen. Zu ebener Erde versammeln sich Buchskulpturen, Regalinstallationen, Archivalien und bibliophile Werke von Künstlern wie Natalie Czech, Martin Kippenberger, Robert Longo, John Baldessari, John Stezaker, Kajsa Dahlberg, Olaf Nicolai u. v. a. Die Empore nimmt eine monumentale Arbeit von Rachel Khedoori ein. In Dutzenden Folianten breitet sie einen potenziell unendlichen Text gleichförmig ausgedruckter Onlinenachrichten über den Irak aus. Ist die händisch zu durchblätternde Büchersammlung ein mittlerweile historisches Phänomen? Oder bietet das Netz auf lange Sicht doch keine nachhaltige Alternative? 28 zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler kommentieren das Problem in der von Matthew Higgs kuratierten Ausstellung. Ihn inspirierte „Die Bibliothek von Babel“ aus Jorge Luis Borges’ fantastischer Erzählung – also der Spekulation über eine Institution, in der alle möglichen Bücher der Welt aufbewahrt werden. Allein Candida Höfer wäre wohl zuzutrauen, ein Foto von dieser Bibliothek aufzunehmen. WOE
■ Bis 23. Februar, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Karl-Marx-Allee 45