Bundeswehr-Lehrmaterial von der Wehrmacht: Von Stalingrad nach Afghanistan
Soldaten der Bundeswehr werden mit Lehrmaterial der Wehrmacht im Krieg für ihre Einsätze ausgebildet. Der Historiker Detlef Bald hat diese Praxis kritisch analysiert.
Ob es ein Krieg ist, den die Bundeswehr in Afghanistan führt, darüber streiten derzeit Politiker. Innerhalb des Militärs wird nicht gestritten, jedenfalls nicht öffentlich. Richtlinien für die Ausbildung von Rekruten liefern jedoch deutliche Hinweise auf das Selbstverständnis der Armee.
Die Befähigung "zum feldverwendungsfähigen Soldaten" ist ein Lernziel der Grundausbildung, nachzulesen in entsprechenden Anweisungen des Heeresamtes aus dem Jahr 2006. Trainiert wird "der einsatzbezogene Gefechtsdienst" der "kleinen Kampfgemeinschaft".
Der Historiker Detlef Bald hat im neuen Heft des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg zum Thema "Bundeswehr im Krieg - wie kann die Innere Führung überleben?", das heute veröffentlicht wird, die Ausbildungsrichtlinien und -materialien der Bundeswehr kritisch analysiert, und er kommt dabei zu ebenso überraschenden wie bestürzenden Ergebnissen.
Die beiden Bücher "Einsatznah ausbilden" sowie "Üben und schießen", die in der Grundausbildung seit vielen Jahren benutzt werden, dienen Ausbildern als Nachschlagewerke, die ihnen helfen sollen, "an den Erfordernissen des Krieges ausgerichtete Ausbildung" zu gewährleisten.
Darin findet sich die Empfehlung: Die "Vorstellung von Kriegswirklichkeit" soll unter anderem durch beispielhafte Erfahrungsberichte des deutschen Heeres im Zweiten Weltkrieg herangezogen werden, die als "zeitlos" gültige Lehren betrachtet werden.
Zeitlos? Das ist in mehrfacher Hinsicht seltsam. Zum einen überrascht das Unterrichtsmaterial im Hinblick auf das, was alle deutschen Verteidigungsminister seit Volker Rühe in den 90er-Jahren – unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit – als militärische Anforderungen der Gegenwart bezeichnet haben: den Umbau von einer personal-und materialintensiven Verteidigungsstreitkraft zu einer hoch spezialisierten Interventionsarmee.
Da Deutschland "von Freunden umgeben" sei, sei es nicht mehr notwendig, die Reserven für Panzerschlachten auf eigenem Territorium vorzuhalten. So die Minister. Die Rekruten jedoch werden mit Hilfe von Szenarien wie dem Winterkampf in der Sowjetunion oder der Operation der Alliierten in der Normandie ausgebildet: "Zuerst decken 1.700 Bomber den nur 2 km breiten Durchbruchsraum mit ,Bombenteppichen' ein, dann schießen 550 Geschütze eine Feuerwalze, hinter der 877 Panzer hervorbrechen."
Die Dramatik ist Programm: Den Ausbildern wird empfohlen, die Kriegswirklichkeit möglichst emotional darzustellen. In den Büchern werden als Lehrhilfen auch kleine gereimte Merksätze der Wehrmacht für die Panzerabwehr zitiert: "Selbst in der äußersten Erregung / bewahre kühle Überlegung." Oder: "Was man von fern besorgen kann / dazu pirscht man sich nicht erst an." Und: "An Nahkampfmitteln gibt es viele / nur ihre Kenntnis führt zum Ziele."
Wirken derlei Materialien schon in strategischer Hinsicht befremdlich, so ist die – unausgesprochene – politische Botschaft dahinter noch weit bedenklicher: "Forderungen nach ,Pflichttreue' oder Durchhalteparolen" legten unterschwellig in den Nachschlagewerken ein "Ethos des Soldatischen" zugrunde, "das weder in Einklang mit den Werten der Inneren Führung zu bringen ist noch den Tendenzen zu einem instrumentellen Job-Soldatentyp entgegenwirkt", schreibt Detlef Bald.
Die meisten Dienstvorschriften und Merkblätter der Wehrmacht, die heute Bundeswehr-Rekruten als Ausbildungsmaterialien vorgelegt werden, stammen aus Kriegs- und nicht etwa aus Friedenszeiten. Für den "harten Straßen-und Häuserkampf" liefert eine Heeresdienstvorschrift aus dem Jahr 1944 die "Anleitung für den Nahkampf". Der Soldat sei so zu erziehen, dass er mit Handgranate und Schusswaffe den Gegner "niederkämpft".
Detlef Bald: "Die ,Ausbildungshilfen' sind ein Machwerk der Legendenbildung." Sie präsentierten die Wehrmacht "als geschichtliches, quasi naturgegebenes Vorbild der Bundeswehr". Und weiter: "Perfide ist der Duktus, Vorschriften und Richtlinien aus der Zeit des Nationalsozialismus in vermeintlich unpolitischer Absicht durch Zitate in die Gegenwart der Bundeswehr zu holen und amtlich zu erklären, diese Lehren seien ,zeitlos'. Damit werden Wehrmacht und ihre Nazi-Ideale ethisch gesäubert und enthistorisiert. Das Gütesiegel des Heeresamtes bestätigt dies."
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