Bundespräsidenten-Wahl: Gauck spaltet Ex-DDR-Opposition
Seit er als Nachfolger von Horst Köhler kandidiert, ist Joachim Gauck in der Öffentlichkeit der "Bürgerrechtler der Nation". Einstige Verbündete sehen das kritisch.
BERLIN taz | Schön ist es am Schweriner See. "Sie würden sofort herkommen, wenn Sie wüssten, wie schön es hier ist", ruft Heiko Lietz vergnügt durchs Telefon. Lietz hat sich vor 20 Jahren für Mecklenburg-Vorpommern und gegen Berlin entschieden. Seinen Weggefährten Joachim Gauck zog es in die Hauptstadt.
Beide standen auf der Liste des Neuen Forums für die erste frei zu wählende Volkskammer. Der ehemalige Güstrower Pastor Lietz trat von seiner Kandidatur zurück, nennt sich heute frei schaffender Menschenrechtler und organisiert Proteste gegen Hartz IV.
Der einstige Rostocker Pastor Gauck ist bis Mittwoch Anwärter auf das Amt des Bundespräsidenten und tritt als Außenseiter gegen den Mehrheitskandidaten Christian Wulff an. Für die Medien das Duell "Ex-Bürgerrechtler gegen Polit-Profi".
Für Lietz ist Gauck im engeren Sinne kein Bürgerrechtler. "Freiheit ohne soziale Sicherheit ist zu wenig", sagt Lietz. Von der Staatssicherheit einst zum harten Kern der DDR-Opposition gerechnet, will Lietz heute den realen Kapitalismus überwinden. "Gauck bezeichnet Leute wie mich als Träumer, die in der Realpolitik nichts zu suchen hätten."
Menschlich sei er Gauck aber bis heute sehr verbunden. Beide besuchten das Goethe-Gymnasium in Rostock und spielten während des Theologie-Studiums in einer Handballmannschaft. "Jochen als Rechtshänder immer auf der linken Seite und ich als Linkshänder auf der rechten." Die Positionen waren damals schon verschieden.
Die in der DDR durch den gemeinsamen Feind verbundene Oppositionsbewegung spaltete sich kaum, dass man am Runden Tisch Platz genommen hatte. Die einen - darunter Gauck - sahen ihre Mission mit der erreichten Meinungs- und Versammlungsfreiheit als erfüllt an und plädierten für eine rasche Einheit. Andere gaben die "bessere DDR" so schnell nicht verloren.
Der Kandidat Gauck spaltet die ehemalige DDR-Opposition 20 Jahre später noch einmal. Einstige Bürgerrechtler wie der Grünen-Europaabgeordnete Werner Schulz und Liedermacher Stephan Krawczyk rufen dazu auf, Gauck zu wählen: "Gauck ist eine Leitfigur der DDR-Opposition, sein Name moralische Instanz", heißt es.
Der Name Gauck fällt häufig an diesem Abend in einem Berliner Lokal. Zum Pankower Ossietzkykreis, der sich hier trifft, gehören viele, die zu DDR-Zeiten als Oppositionelle und Kritiker öffentlich aufgetreten sind. Gauck ist bei den meisten in dieser Runde nicht der Wunschkandidat.
Einer meldet sich zu Wort: "Er ist kein linker liberaler Konservativer, sondern Konservativer durch und durch. Es gab eine Schicht, mit der wir damals verbunden waren, die immer konservativ war." In deren Augen seien heute sie die ewig Gestrigen.
Anfang der 80er Jahre gehörten sie zu den Ersten, die unabhängige Friedensgruppen gründeten. In diesen Friedenskreisen unter dem Dach der Kirche sammelte sich die politische Opposition gegen die SED-Regierung.
Heiko Lietz koordiniert ab 1983 im Norden die Basisgruppen in der kirchlichen Friedensbewegung. Gauck war damals kein Mitglied. "Man kann nicht sagen, dass er politisch etwas riskiert hätte, in der unabhängigen kirchlichen Friedensbewegung war er wenigstens nicht erkennbar", sagt Lietz.
Obwohl er kein Mitglied der organisierten Bürgerbewegung gewesen sei, habe Joachim Gauck immer klare Worte gefunden, rückt der damalige Rostocker Studentenpfarrer Christoph Kleemann das Bild zurecht. "Er hat oppositionelle Anliegen transportiert." Kleemann erinnert an eine Predigt Gaucks in der Marienkirche, als dieser 1988 Reisefreiheit für alle Bürger einforderte.
Ein gutes Jahrzehnt später waren sie wieder Kollegen. Gauck leitete bis 2000 die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen, Kleemann trat 1999 einen Posten in der Rostocker Außenstelle an. Kritiker werfen Gauck vor, er habe sein Amt instrumentalisiert, indem er politische Gegner mit der Stasi-Keule erschlug.
Kleemann wehrt ab: Dieser Vorwurf könne nur von Leuten stammen, die ein geschlossenes ideologisches Weltbild besäßen. Die zum inneren Zirkel der DDR gehört hätten.
Die Stasiakte der Pankower Pfarrerin Ruth Misselwitz ist üppig, ihre kritische Distanz zur DDR groß. Mit Mann und Freunden gründete sie 1981 den Pankower Friedenskreis. Aus ihrer Akte weiß Misselwitz, dass die Verfasser eine ganze Menge Fantasie in die Berichte einwoben.
"Doch nach der Wende erlangten die Akten eine Wahrheit und Bedeutung, die ich ihnen nie zugestanden hätte." Gauck wäre weniger Verwalter denn Ankläger und Richter gewesen. "Er hat in dieser Position nicht versöhnend, sondern verschärfend gewirkt."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko