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Bürger wollen mehr mitbestimmenNeue Mitspracheoffensive

Bürger wollen bei Großprojekten mehr als ein Wörtchen mitreden. Ein Kongress will am Dienstag erste Impulse für mehr Bürgerbeteiligung setzen.

Protest reicht ihnen nicht mehr. Bürger wollen immer mehr mitreden. Bild: dpa

BERLIN taz | Lärm am Flughafen, Stress am Kopfbahnhof: Knapp zwei Drittel der wahlberechtigten Bundesbürger fühlen sich laut einer jüngsten Umfrage über ihre Beteiligungsmöglichkeiten bei Planungsvorhaben nur schlecht informiert. Das sagte der Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap, Richard Hilmer, am Montag vor Journalisten in Berlin.

Demnach fühlten sich 55 Prozent der Befragten "zu wenig" und sieben Prozent "gar nicht" in entsprechende Projekte eingebunden.

Im Bereich der Energiepolitik sei der Wunsch nach stärkerer Beteiligung am deutlichsten, sagte Hilmer. 48 Prozent der am Telefon befragten Bürger hielten eine stärkere Beteiligung hier für "sehr wichtig"; im Bereich der Steuer- und Verkehrspolitik sahen dies 39 Prozent so.

Die Allgemeinheit hat Vorrang

Die Mehrheit der Befragten, 54 Prozent, gab allerdings auch an, bei großen Bauvorhaben habe das Interesse der Allgemeinheit Vorrang vor den Interessen betroffener Anwohner. Die Telefonumfrage hatte das Institut Ende Januar unter 1.000 Befragten durchgeführt.

Hintergrund der Umfrage ist ein gemeinsames Projekt von Infratest dimap, der Herbert-Quandt-Stiftung und der Berliner "Stiftung Zukunft": Auf einem am Dienstag in Berlin stattfindenden Kongress für "bürgerschaftliche Mitverantwortung bei Planungs- und Entscheidungsprozessen", an der auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) teilnehmen soll, wollen die Organisationen "Impulse für eine Debatte über mehr Bürgerbeteiligung" setzen.

Mitverantwortung statt Beteiligung

Der frühere Berliner Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Volker Hassemer, sagte dazu: "Wir müssen künftig von Mitverantwortung statt von Beteiligung reden." An der repräsentativen Demokratie dürfe im Rahmen dieser Debatte jedoch nicht gezweifelt werden.

Hintergrund der Initiative könnten Pläne des Bundesinnenministeriums sein, das sogenannte Verwaltungsverfahrensgesetz zu novellieren. Dabei wird derzeit erwogen, bei der Realisierung von Großprojekten einen sogenannten Bürgerdialog vorzuschalten, sodass Bürger etwa bei Großprojekten mehr Mitsprachemöglichkeiten erhalten.

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4 Kommentare

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  • WG
    wie geil ist das denn!

    "An der repräsentativen Demokratie dürfe im Rahmen dieser Debatte jedoch nicht gezweifelt werden."

     

    Das nenn ich mal weitgedacht. Mensch, mensch, mensch.

     

    Das Problem der Bürgerbeteiligung bei Großprojekten ist so vielschichtig, dass dies mit einer Konferenz von einem Tag Dauer nicht getan sein kann. Vor allem nicht, wenn die teilnehmenden Herren und Damen sich ihren Raum zum Denken so dermaßen stark einschränken. Einer der Knackpunkte in diesem Problemfeld besteht jedoch darin, und dieses zu benennen hätte ich von der taz erwartet, dass wenn eine Beteiligung im Vorfeld eines größeren Projektes nach Gesetz angeschoben wird, sich so gut wie kein/e "Bürger*in" dafür interessiert. Die Folgen sind aufgrund der Abstraktheit des Planungsstandes für eine/n Laien auch nicht abschätzbar. Selbst mit der Planung beschäftigte Menschen können das kaum. Wie soll so eine ernstzunehmende Legitimation erreicht werden? Erschwerend kommt dazu, dass z.T. in der Planungsendphase von solchen Großprojekten, also wenn die Bagger anfangen zu rollen, wir sprechen hier übrigens über Planungszeiträume von mehr als 10 Jahren, die betroffenen Bürger andere sind (u.a. Umzug, Tod, Verdrängung), als die beteiligt wurden. Beim BBI wurden die ersten Planungen 1994, also vor 18 Jahren, begonnen.

    Ein Politikverständnis, das davon ausgeht, das Menschen auch nach 18 Jahren noch mit Entscheidungen leben wollen/können, also indirekt oder direkt diese legitimieren, ist nicht nur fragwürdig, sondern zeugt von einer Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen

    der Bevölkerung. Aber die Frage zum Abschluss sei gestattet: "Wer hat denn eigentlich die Politiker (der damailge Bundesverkehrsminister, der Regierende Bürgermeister von Berlin und der Ministerpräsident des Landes Brandenburg) von damals gewählt, die sich z.Bsp. für BBI entschieden haben?"

    Wer im Glashaus sitzt...

  • M
    Matze

    Wie kann man aus 55% knapp zwei Drittel machen? "Mehr als die Hälfte" wäre wohl günstiger gewesen.

  • PM
    PETER MEISEL

    Bürgebeteiligung hat sich unser MP Kretschmann auf die Fahne geschrieben. Das ist gut! Es bedingt zunächst eine neue Kommonikatioskultur mit der Regel:

    Wahrhaftigkeit in der Aussage und Vertrauen des Adressaten. Der jeweilige Test ist die Verlässlichkeit, "es stimmt" auch nachträglich! Sonst schwindet das Vertrauen und es wird zwangsläufig "Transparenz" gefordert. Da steckt lateinisch parare/ parieren drin.

    Wir sind das Volk und wollen eine wahre Information. Ein Schwabe will nicht unter Niveau belogen werden. Das ist das Problem bei Stuttgart21 heute noch. Der Nord- Süd-Dialog war ein Beispiel für die heutige strukturelle "Korruption und Politik als Geschäft.

    Zur Zeit entstehen im Ländle unzählige überdimensionierte "Lärmschutzwälle" die dank falscher Informationen durch die Instanzen als "demokratisch legitimiert" Ver- kauft werden. Die Übergangenen werden dann zu Mutbürgern oder gar Wutbürger. Der Zorn über die res publica wird zur Verachtung der Politik s. Wahlbeteiligung.

  • OP
    Otto Pardey

    Die Bundesrepublik Deutschland bzw.deren Restbestand

    von Demokratie wird von einigen korrupten Politikern

    in Geiselhaft genommen.