■ Bündnisgrüne wenden sich der Wirtschaftspolitik zu: Fischers Black box
Joschka Fischer, der heimliche Vorsitzende, hat nach der Umwelt- und der Außenpolitik nun die Wirtschaftspolitik für sich und die Partei entdeckt. Nach Jahren der Abstinenz sollen nach Fischers Willen auch Bündnis 90/Die Grünen die Wirtschaft nicht weiter wie eine Black box behandeln. „Das Defizit muß geschlossen werden.“
Defizit stimmt, denn bisher beschränkte sich grüne Wirtschaftspolitik vor allem auf Steuerpolitik. Motto: Wir machen's wie im Volkswirtschaftseminar und setzen die Aktivitäten von Firmen und Konsumenten als gegeben voraus. Dann erheben wir soviel Steuern, wie wir brauchen, und sehen, was passiert. Steuersenkungen, neuerdings als Teil der ökologischen Steuerreform mitgedacht, gehorchen der gleichen Logik.
Der grüne Ansatz hat mit Uni-Darbietungen gemeinsam, daß er die Wirklichkeit nicht genau genug trifft. Firmen und Konsumenten reagieren auf politische Äußerungen und Entscheidungen, nicht nur auf die Steuerschraube. Zwei Beispiel aus jüngster Zeit: Theo Waigel hatte kaum gesagt, daß Italien den Sprung zur Währungsunion wohl nicht schaffen werde, da sauste die Lira in den Keller. Positiver: Das Stromeinspeisegesetz hat dafür gesorgt, daß Deutschland in weniger als fünf Jahren zum führenden Windstromproduzenten Europas geworden ist — deutsche Firmen versuchen jetzt sogar den von Dänen beherrschten Exportmarkt zu knacken.
Am Wochenende wollen die Bündnisgrünen beim Länderrat einen Blick in die Black box Wirtschaft wagen. Fischers Papier ist dafür nur der Anlaß. Seit grüne MandatsträgerInnen nicht nur das Umweltverschmutzungsverhinderungsressort besetzen, sondern Bau- oder Finanzgewaltige sind, stehen neue Werkzeuge zur Verfügung, muß über Handlungsspielräume und -optionen nachgedacht werden. Angesichts einer (gemeinsamen) Wirtschaftspolitik der Konservativen und Sozialdemokraten, die auf mehr Rüstung, auf mehr teure Großtechnologien, kurz auf mehr vom Gleichen setzt, sind zudem zukunftsweisende Alternativen gefragter denn je.
Fischers Votum für eine „Standortdebatte, eine ökologische Investitions- und Marktstrategie“ bringt die neue Wirklichkeit der Parteielite und den Durst nach wirtschaftspolitischen Alternativen gekonnt auf den Punkt. Was fehlt, ist das Konkrete. Vor zwanzig Jahren ist der Sponti Fischer mit anderen in die Betriebe aufgebrochen. Es ist allerhöchste Zeit, an diese Wirkungsstätten zurückzukehren. Hermann-Josef Tenhagen
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