piwik no script img

■ BuchtipMultikulinarisch

Multikulti findet statt. Seit dem Moment nämlich, seit dem die Völker dieses Planeten Nahrungsmittel im- und exportieren, sich die verschiedenen Küchen vermischen, Speisen übernommen werden, Lebensmittel migrieren. Denken wir uns mal alle Grundnahrungsmittel, die nicht auf der deutschen Scholle gewachsen sind, weg: Kartoffeln, Körrie zur Wurscht, Erdnußflips, Bananen, Cola und Marsriegel – man könnte Seiten damit vollschreiben. Denn so abenteuerlich das Gemisch, aus dem „die Deutschen“ sind – Germanen & Co. plus die genetische Hinterlassenschaft balearischer Schleuderer und armenischer Reiter –, so abenteuerlich sind ihre liebsten Speisen aus aller Welt. Um dies genauer zu wissen, empfiehlt sich die Lektüre der voluminösen Kulturgeschichte des Essens und Trinkens „Leere Töpfe, volle Töpfe“ von Gert von Paczensky und Anne Dünnebier. Eine vergnüglich geschriebene und sehr schön aufgemachte „Kulturgeschichte“, die zudem zeigt, daß man die multikulturelle Geschichte der menschlichen Ernährung nicht aus dem monokulturellen Blick des mitteleuropäischen Endverbrauchers schreiben kann. Autorin und Autor werden dann wirklich spannend, wenn sie an den einzelnen Grundnahrungsmitteln deren implizite Problematiken aufhängen, die so universell sind wie das ganze Thema – Sexismus, Rassismus, Kolonialismus. Und wer nörgeln will, daß man nicht mal mehr ideologisch ungestört essen und trinken darf, lese die einschlägigen Kapitel über Monokulturen, über die „Ernährerin“, über „Hunger als Waffe“ und so weiter. Hedonismus, wo er hinpaßt.

Überhaupt, und auch das zeigt „Leere Töpfe, volle Töpfe“, sind gerade die „einfachen“ Dinge nicht einfach, sondern besonders kratzbürstig gegenüber ideologischer Simplifizierung. Wer sich also sehr schön nach Gusto giften will, kann im Abschnitt „Gesundheit“ nachblättern, warum die neuesten Trips der Ernährungsberater jeglicher Couleur meistens sowieso altbackene Hüte oder frugale Scharlatanie sind. Nein, Essen und Trinken sind nicht die letzten Bastionen der Unmittelbarkeit, sondern diffizil vermittelte, hochkomplexe kulturelle soziale Akte. Und wenn ich das hier so hartnäckig betone, dann nur, weil ich mit dem Buch auf ein menschliches Grundbedürfnis und -vergnügen hinweisen will, das sorgfältig zu kultivieren und zu pflegen erstens lustvoller und zweitens lohnender und drittens erkenntnisstiftender sein kann als hartleibige theoretische Diskurse und publikumsferne Debatten. Der Bauer frißt schon lange, was er eigentlich nicht kennt.Thomas Wörtche

Gert von Paczensky/Anne Dünnebier: „Leere Töpfe, volle Töpfe. Die Kulturgeschichte des Essens und Trinkens“. München: Albrecht Knaus, 1994; 575 S., 98 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen