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■ BuchtipMetamorphose in Moll

Ein Übermaß an Liebe kann böse Folgen haben. Wenn ein Mann eine Frau zu sehr liebt, die ihrerseits Autorennen zu sehr liebt, kann er zum seelischen Wrack werden und sie zum Auto. Zumindest bei Silvina Ocampo. Die „grande dame“ der argentinischen Literatur, die 1993 im Alter von 90 Jahren in ihrer Heimatstadt Buenos Aires starb, war eine Meisterin des Paradoxen. Während hierzulande leicht der Eindruck entsteht, lateinamerikanische Literatur wäre reine Männersache, sind Ocampos Geschichten der beste Beweis, daß der Kontinent mehr – und vor allem bessere – Autorinnen vorzuweisen hat als nur Isabel Allende.

In ihren späten Erzählungen fließt Reales und Irrationales wie im Traum ineinander. Alles befindet sich in ständiger Metamorphose. Gegenstände vermenschlichen sich, Menschen mutieren zu Tieren, Dingen oder Pflanzen. Zum Beispiel der Gärtner: „Jede Berührung mit der Erde war, als würde er immer wieder seine eigenen Hände einpflanzen. Schon waren sie von einer Art dunkler Rinde überzogen ...“ Der Mikrokosmos der Figuren wirkt wie die bunten Splitter in einem Kaleidoskop, die von der Schriftstellerin immer wieder neu gemischt werden.

Die Erzählungen sind voller verblüffender Sprachbilder und merkwürdiger Vergleiche: „... die Stimme klang dankbar wie die eines Badenden, kurz bevor er wieder ins Wasser springt“. Vertraute Gemeinplätze werden hingegen ironisch hinterfragt. Silvina Ocampos Prosa ähnelt dem absichtlich verstimmten Klavier, das sie in „Die Musik des Regens“ und „Die Symphonie“ beschreibt. Die schrägen Töne erzeugen außergewöhnliche Klänge, die selbst bekannte Melodien völlig verfremden.

Die Suche nach einer ganz eigenen Ausdrucksweise ist ein häufiges Thema. Autobiographische Züge trägt die Geschichte der Malerin. Sie muß feststellen, daß ihr bestes Werk von der toten Schwester gemalt wurde. Ocampo stand selbst lange im Schatten ihrer Schwester Victoria. So mündet manche Geschichte in der Erkenntnis, daß einem nichts wirklich gehört und zugleich das Nichts der wahre Besitz ist. Aber was macht das schon, ist die Welt nicht ohnehin nur Illusion?Anne Winter

Silvina Ocampo: „Der Farnwald“, Erzählungen, Klett-Cotta, Stuttgart 1991, 24 Mark.

Im Juli 1995 erscheint bei Klett- Cotta der Erzählungsband: „Die Farbe der Zeit“, 28 Mark. Weitere Erzählungen von Silvina Ocampo sind unter dem Titel „Die Furie und andere Geschichten“ 1992 bei Suhrkamp erschienen.

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