Buchpreisträgerin Julia Franck: Deutschland sucht Superschriftstellerin
Der "Deutsche Buchpreis" ist die öffentlichkeitswirksamste Auszeichnung. Was besagt Julia Francks Erfolg über die Mechanismen deutscher Gegenwartsliteratur?
Wer dieser Tage ein Interview mit der Buchpreis-Gewinnerin Julia Franck führt, versetzt zumindest den weiblichen Teil seiner Umgebung in helle Aufregung. Fragen und Begeisterungsbekundungen nehmen kein Ende. Fehlte nur noch, dass jemand "die Julia" sagt und "sooo nett" - doch vermutlich hat es ja schon jemand gesagt.
Allemal sind diese Reaktionen ein Beweis dafür, wie exzellent die mediale Maschinerie funktioniert, die um den Buchpreis herum arbeitet. Erklärtes Ziel des Preises, der in diesem Jahr zum dritten Mal verliehen worden ist, ist nämlich vor allem die Publicity. Es geht um Steigerung der Verkaufzahlen und Aufmerksamkeitserzeugung auf dem internationalen Markt: In siebzehn Länder, sogar nach China hat der S. Fischer Verlag die Rechte der "Mittagsfrau" in erstaunlich kurzer Zeit verkauft. Im deutschsprachigen Raum sind mittlerweile fast 200.000 Exemplare verkauft; Franck rangiert auf Platz zwei der Bestsellerliste, hinter dem unschlagbaren "Harry Potter".
Auf Francks Lesereise sieht es momentan nicht anders aus. Kurzfristig müssen die Veranstaltungen in größere Räume verlegt werden. Bis zu 500 Menschen kommen pro Abend. Nicht nur um Literatur zu hören, sondern vor allem um sie zu sehen, die Julia: "Sie ist erst 37 Jahre alt, hat dunkle Haare und schöne, helle Augen, eine freundliche, leise Stimme, sie trägt schicke Sachen - und hat den brutalsten und berührendsten Roman der Saison geschrieben." Relativ beliebig kann man Kommentare wie diesen aus dem Bayrischen Rundfunk über Julia Franck zitieren. Jenseits von Verkaufszahlen wird man hier zum Beobachter eines speziellen Buchpreis-Phänomens.
Die Art, wie ein Roman wahrgenommen wird, in dem eine Mutter ihren kleinen Sohn 1945 auf einem Bahnhof zurücklässt, und die Art, wie dessen Autorin gesehen wird, scheinen im Falle von Julia Franck auf seltsame Weise miteinander zu verschmelzen. "Berührend", "sinnlich", "schmerzhaft" sind die Vokabeln, mit denen Francks Roman beschrieben wird. Sinnlich, verletzlich und empfindsam: Das ist auch das Bild, das von Franck in der Öffentlichkeit kursiert. Jeder, der sich dem Interviewreigen nach der Verkündung des Buchpreises anschloss, fragte denn auch besorgt, ob Franck diesem Ansturm überhaupt standhalten könne.
In der Brigitte findet man ein Interview mit Julia Franck und ihrer Zwillingsschwester. Es geht darin vor allem um beider nicht immer harmonische Kindheit mit getrennten Eltern und einer Mutter, die sich offenbar herzlich wenig um ihre Kinder kümmerte. Mit dreizehn Jahren entschied Julia Franck, allein zu Verwandten nach Berlin zu ziehen. Es braucht da fast gar nicht mehr den Hinweis, dass sich von dem ausgesetzten Kind aus Francks Roman eine biografische Linie zu Francks Vater zieht. Auch so verquicken sich fiktionale und reale Familiengeschichte auf eine Weise, die hier wie dort emphatische Anteilnahme erzeugt, für das Buch auf der einen Seite und für seine Autorin fast noch mehr. Passend dazu fehlt übrigens in kaum einem Porträt oder Interview der Hinweis auf Francks eigenen Kinder, die viel wichtiger seien als der ganze Trubel. Übrigens wurde auch die Buchpreis-Gewinnerin des letztes Jahres, Katharina Hacker, bevorzugt mit ihrem Neugeborenen abgebildet.
Vermutlich hat also Thomas Glavinic, dessen Literaturbetriebssatire "Das bin doch ich" gemeinsam mit Francks und vier weiteren Romanen auf der Shortlist des Buchpreises stand, den Sachverhalt recht gut getroffen, als er Francks Roman "buchpreiskompatibel" nannte. Das ist keineswegs die abfällige Bemerkung eines schlechten Verlierers. Seine Feststellung passt vielmehr in zweierlei Hinsicht. Zum einen gehört die "Mittagsfrau" zum Genre "Familienroman". Der geht bekanntlich immer und auch bei möglichst vielen Lesern.
Zum anderen ist Julia Franck selbst sehr kompatibel. Die meisten Porträts von Franck entstanden zwischen der Bekanntgabe der Shortlist und der Preisverleihung. Seither verzichtet Franck weitgehend auf Fernsehauftritte oder große Homestorys in populären Formaten. Sie genießt, erzählt sie, lieber die Zeit an ihrem Schreibtisch und mit ihren Kindern - und die Sicherheit, durch das Preisgeld in den nächsten Monaten vergleichsweise ungestört arbeiten zu können. Solch Rückzug wirkt indirekt bilderverstärkend: Die einmal entstandene Aura wird nicht gestört; die Projektionsfläche Julia kann entstehen.
Auch wenn Franck also nicht von Talkshow zu Talkshow reist: Das Image und die Wirkungen des "Deutschen Buchpreises" ähneln nach drei Jahren einem anderen umstrittenen Casting-Wettbewerb, "Deutschland sucht den Superstar". Einerseits wäre da das gemeine Volk, das auf dieses Format angesprungen ist: Es pilgert in Buchhandlungen und auf Lesungen, ist entzückt von einer jungen Autorin, die eine Form der Empfindsamkeit und Wahrhaftigkeit zu verkörpern scheint, wie man sie sich von Literatur wünscht. Andererseits weiß man derweil in den oberen Etagen des Literaturbetriebs - außer bei S. Fischer natürlich - nicht so recht, was man von der Buchpreis-Mode halten soll. Zu viel Emphase ist hier ja ohnehin verdächtig. Und dass mit dem Preis der "beste Roman deutscher Sprache" gekürt werden soll, erscheint fast schon anrüchig. Die Feinsinnigen unter den intellektuellen Literaturmenschen raufen sich demonstrativ die Haare - oder lächeln mokant.
Das sind natürlich die üblichen Vorbehalte, wenn es darum geht, wie die Literatur an die Leser gebracht soll. Was zu sehr nach Anbiederung an die Mechanismen des Markts aussieht, ist mit einer bestimmten Vorstellung von Kultur nicht vereinbar. Die soll am besten immer noch aus sich selbst heraus wirken und auf keinen Fall als Produkt erkennbar sein.
Vermutlich ist Julia Franck diejenige, die am pragmatischsten mit der ganzen Situation umgeht. Sicher kämen zu ihren Lesungen etliche Menschen, die nur durch das Etikett "Buchpreis" angelockt seien. Aber: "Wenn ich nur einen Teil dieser Leute am Ende eines Abends davon überzeugt habe, mein Buch zu lesen oder sich damit auseinanderzusetzen, dann ist doch schon viel erreicht."
Das ist vor allem deshalb eine kluge Position, weil Franck den Preis als Multiplikator dankbar annimmt, sich dabei aber immer bemüht, den Inhalt ihrer Arbeit in den Vordergrund und ins Gespräch zu rücken. Denn natürlich ist der Vergleich mit "Deutschland sucht den Superstar" nicht gerecht: Schließlich hat Julia Franck nicht irgendein Vorstadt-Casting bestanden und muss jetzt nicht irgendwie an einer Pseudokarriere basteln. Die Gewinnerin des Open-Mike-Wettbewerbs von 1995 hat seither mit dem Erzählungsband "Bauchlandung" oder zuletzt mit dem Roman "Lagerfeuer", der in den Siebzigerjahren im Aufnahmelager für DDR-Flüchtlinge in Berlin-Marienfelde spielt, allemal gezeigt, dass man sie nicht mehr nur unter Talent oder der Feuilletonfloskel "Fräuleinwunder" verbuchen kann. Deshalb ist es müßig zu spekulieren, was in der nächsten oder übernächsten Saison aus Julia Franck geworden ist: Sie wird voraussichtlich ganz einfach weiter gute Literatur produzieren.
Die ganz große Begeisterungswelle für einen Autor allerdings ist bisher beim Publikum ähnlich schnell verebbt, wie sie durch den Buchpreis losgetreten worden ist - also doch ein bisschen "Superstar"-Effekt? Arno Geiger jedenfalls, der den Preis 2005 erhalten hat, ist gerade für sein Folgebuch ziemlich abgewatscht worden. Katharina Hackers "Habenichtse" verkaufen sich zwar immer noch anständig. Mit dem Dauerbrenner "Die Vermessung der Welt" von Daniel Kehlmann aber, damals von Arno Geiger knapp geschlagen, ist das alles eben nicht zu vergleichen. Kehlmann ist als Ausnahme gerade deshalb interessant, weil man seinen Erfolg nicht auf einen Preis zurückführen kann.
Doch nach dem Preis ist vor dem Preis: Im nächsten Herbst wird der "Deutsche Buchpreis" einem anderen Autor die nächste Erfolgskonjunktur und den Feuilletons neuen Diskussionsstoff bescheren. Im Frühjahr steht zwar erst einmal der "Preis der Leipziger Buchmesse" an. Doch der gilt hinter vorgehaltener Hand eher als Uefa-Cup-Teilnahme. Entspannen wir uns also ein bisschen bis zur Frankfurter Champions League, die im Oktober 2008 ausgespielt wird. So gut, wie das Publikum mittlerweile der Buchpreis-Jury aus der Hand frisst, sollte die dann allerdings auch mal ein paar neue Impulse in Richtung Buchmarkt und Lesegewohnheiten wagen. Es muss ja am Ende nicht immer der Familienroman gewinnen.
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