Buch über die Geschichte der Menschheit: Die Welt durch die ideologische Brille
Die Weltgeschichte „Wer baute des siebentorige Theben“ des britischen marxistischen Aktivisten Chris Harman wurde neu ins Deutsche übertragen.
Mit dem Titel „Wer baute das siebentorige Theben“, einem Zitat aus Bert Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ (1935), betont die jetzt im Laika Verlag erschienene deutsche Ausgabe von Chirs Harman's „People's History of the World“ (2000) die Frontstellung der Arbeiter innerhalb der marxistischen Debatte. Dieses Werk lässt sich auch lesen als ein weiterer, vehementer Einspruch gegen eine dezidiert antihumanistische Marx-Lesart, die Geschichte als Prozess ohne Subjekt auffasst.
Sein halbes, viel zu kurzes Leben lang hat der 2009 gestorbene Marxist Harman diese Marx-Lesart als Irrlehre bekämpft. Und deshalb heißt es bei Harman, dass die Veränderungen der Produktivkräfte zwar verknüpft seien mit Veränderungen in den Produktionsverhältnissen und diese „die umfassenderen gesellschaftlichen Beziehungen“ transformieren würden.
„An jedem Wendepunkt“ aber, „treffen Menschen eine Entscheidung, ob sie den einen oder anderen Weg weiterverfolgen, und sie fechten diese Entscheidung in großen Gesellschaftskonflikten aus.“
Die Abfolge der großen Kämpfe bildeten „das Gerüst, um das herum sich die übrige Geschichte entwickelt“, so Harman, „das Skelett“.
Teil des Kampfes
Harman war kein luzider Theoretiker. Er war ein Funktionär der Socialist Workers Party. Auch sein Weltgeschichte-Projekt versteht sich als Teil des politischen Kampfs: Geschichtswissenschaft soll klären „ob und wie wir unsere Welt weiter verändern“. Anlass zum Schreiben gaben ihm Unterrichtsreformen, die zu Jahrhundertbeginn darauf abzielten „in den Schulen die britische Geschichte und die britischen Errungenschaften hervorzuheben“. Dem wollte er etwas entgegensetzen.
Die Erfolge dieser damals von New Labour in England lancierten Strategie der Stärkung des Patriotismus bestätigen seine Analyse aufs Unschönste: Die Renationalisierung hat, von der bürgerlichen Linken gepusht, die Rechtsradikalen europaweit gestärkt. Umso wichtiger wird da ein Projekt der linken Gegen-Geschichte.
Das aber kann nicht über die Schwächen der Ausführung hinwegtäuschen, die Harmans Theorie-Defizit und sein geradezu unbedarfter Umgang mit der belasteten Form der Weltgeschichtsschreibung verursachen: Er verfällt immer wieder ins bewährte Muster der Erzählung von den großen, wenn auch bösen weißen Männern, die er hatte vermeiden wollen. Als Superschurken treten auf: Hitler, und, für Harman kaum besser, Winston Churchill und Josef Stalin.
Er huldigt einsamen Helden wie Tomas Müntzer und Halbgöttern wie Johann Sebastian Bach, der „den Kontrapunkt und die Fuge in die Musik“ eingeführt habe: Ein extrem peinlicher Schnitzer, der 16 Jahre nach der Erstausgabe ja mal getilgt werden könnte.
Ganz Afrika auf fünf Seiten
Gravierender ist, dass es Harman gegen seine erklärte Absicht nicht schafft, den eurozentristischen Blick zu überwinden. Russland, erst recht der Trikont, Japan, all das sind nur Marginalien in Harmans Welt. Für Afrika sind fünf von 700 Seiten genug, und Eroberte und Kolonialisierte sind ihm bloß Eroberte und Kolonialisierte.
Besonders deutlich macht das die Figur des Atahualpa: Bei Harman ist dieser Gewaltherrscher nur ein Opfer Pizarros, als Grund für den Untergang seines Volks kommen daher einzig das Fehlen von Eisen und Pferden in Betracht. Dass die Spanier auf durch einen brutalen Bruderkrieg und echten Staatsterror geschwächte Inkas trafen, spielt keine Rolle.
Chris Harman: „Wer baute das siebentorige Theben“. Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning. 3 Bände, Laika Verlag, Hamburg 2016, 77 Euro
Anregend aber wird das Buch, sobald sich Harman Europa zuwendet: Die große Krise des 14. Jahrhunderts ist selten packender erzählt worden, und trotz Irrtümern – die Behauptung, nach der „die Bolschewiki im Jahr 1917“ die baltischen Republiken „in die Unabhängigkeit entlassen“ hätten, klittert deren Unabhängigkeitskriege ad maiorem Leninis gloriam einfach mal weg – bleibt es sinnvoll, die Geschichte des 20. Jahrhunderts durch eine ideologisch geschliffene Brille betrachtet neu zu diskutieren.
Besser möglich geworden wäre das, hätte Harman eine People's History of Europe verfasst, statt eine Weltgeschichte schreiben zu wollen.
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