Buch über Mexikos Drogenkartelle: Die Söldner der Mafia
Die Autorin Jeanette Erazo Heufelder hat die Schlachtfelder des Drogenkriegs in Mexiko besucht. In Ciudad Juárez und Badiraguato sorgen die Kartelle für Angst und Misstrauen.
Mexiko, das Land der enthaupteten Körper, der hingerichteten Migranten, der ermordeten Frauen und erhängten Journalistinnen. Fast jeder weiß eine Horrorgeschichte aus dem lateinamerikanischen Staat zu erzählen. Mexiko hat ein Niveau an Gewalttätigkeit erreicht, das niemand mehr real nachvollziehen kann.
Journalisten kolportieren ständig neue Opferzahlen, ohne zu wissen, ob diese auch nur annähernd einer Wahrheit entsprechen - es sind Ziffern, hinter denen soziale Verhältnisse verschwinden. Nur wenige Berichte können vermitteln, wie es im Innern dieser Gesellschaft aussieht, in der Killer der Mafia ungestraft Menschen ermorden, ganze Regionen kontrollieren und zu Vorbildern der nächsten Generation werden.
Jeanette Erazo Heufelder hat sich den Mikrokosmos dieser Gesellschaft angeschaut. Die Autorin ist in die Orte gegangen, in denen die Kartelle einst groß geworden und sind und die heute zu den bedeutenden Schlachtfeldern des mexikanischen Drogenkriegs zählen: Culiacán, Ciudad Juárez, Badiraguato, Creel. Städte und Gemeinden im Nordwesten des Landes, in denen seit Jahrzehnten Opium und Marihuana hergestellt oder über die Grenze in die USA geschmuggelt werden. In ihrem Buch "Drogenkorridor Mexiko" beschreibt die Ethnologin, wie skrupellose Kriminelle, korrupte Beamte und der Drogenanbau den Alltag der Menschen komplett durchdrungen haben.
Ihre spannend geschriebenen Reportagen erzählen von den Narcocorridos, jenen "blutigen Balladen", in denen Massenmörder wie der Sinaloa-Kartellboss Joaquín Chapo Guzmán geehrt werden und die sie in jedem Bus und sogar in der Gourmetabteilung einer Supermarktkette hört. Oder von der Kapelle des Schutzheiligen der Mafia, Jesus de Malverde, zu dessen Todestag Besucher aus aller Welt nach Culiacán pilgern.
"Wie Seifenopern", so resümiert die Autorin, "scheinen die über die Drogenbosse verbreiteten Mythen und Legenden mit der Sehnsucht der Leute zu korrespondieren, der Lethargie ihres eigenen Alltags zu entfliehen."
Keiner vertraut keinem
Das Buch macht aber besonders interessant, dass Jeanette Erazo Heufelder von den Menschen berichtet, die sie an diesen Orten getroffen hat. Zum Beispiel jene alte Frau namens Rosalia, deren Familie offensichtlich seit Generationen Opium anbaut, die aber völlig nervös wird, wenn die Autorin mit ihr darüber sprechen will.
Schon in ihrer Jugend musste sie erleben, wie Polizisten und Soldaten ins Dorf kamen, Felder niederbrannten und Nachbarn verhafteten. Damals habe sie nicht gewusst, dass es sich bei Mohn um eine verbotene Pflanze handele. "Denn die gleichen Männer, die erklärten, dass die Pflanze schlecht sei, zwangen sie dazu, die schlechte Pflanze anzupflanzen."
Daran hat sich bis heute nichts geändert: Wer gerade für wen arbeitet, ob der örtliche Bürgermeister von Chapo Guzmán sein Geld kassiert oder der Polizeichef der Kreisstadt dem Juárez-Kartell hörig ist, erfahren viele noch nicht einmal, nachdem ihre Angehörigen im Schusswechsel der Killer gestorben sind. Und ebenso wie die Söldner der Mafia treten auch Bundespolizisten bei ihren Einsätzen so auf, dass keiner sie erkennt: Ihre Fahrzeuge tragen keine Nummernschilder, ihre Gesichter sind vermummt.
Gut oder schlecht, richtig oder falsch, legal oder kriminell? In einer Atmosphäre der Angst und Gesetzlosigkeit, in einem Land, in dem selbst der Präsident die Hälfte seiner Polizisten für korrupt hält, verschwindet jedes Kriterium des menschlichen Miteinanders. Keiner vertraut keinem. Niemand wird als Zeuge zur Polizei gehen. Schließlich könnte der Beamte, dem er einen Mord melden will, für jene arbeiten, die für die Tat verantwortlich sind. Von allen Problemen, die es hier gebe, sei die Polizei das größte, zitiert die Autorin eine Ticketverkäuferin in dem Mormonenstädtchen Lebaron.
Berufswunsch "Drogenboss"
Trotz der kritischen Haltung gegenüber Beamten und Sicherheitskräften, die Erazo Heufelder immer wieder von ihren Gesprächspartnern zu hören bekommt, verfällt die Ethnologin nicht in eine Romantisierung der Mafia, etwa weil die Kriminellen einem unfähigen Staat die Stirn bieten oder für eine Basisversorgung der Bevölkerung sorgen. Im Gegenteil: "Wir müssen mit den Narcos paktieren", habe sie so oft gehört, "damit sie uns wenigstens das Leben lassen."
Nüchtern beschreibt sie eine Gesellschaft, in der Kinder als Berufswunsch "Drogenboss" angeben und den Mitschülern drohen, ihr Vater sei für das Zeta-Kartell tätig.
Es ist eine traurige, eine perspektivlos erscheinende Wirklichkeit, die Erazo Heufelder darstellt. Sie berichtet von einer traumatisierten Bevölkerung und verzweifelten Dorfbewohnern, die angesichts der Straflosigkeit nach Selbstjustiz trachten: "Gebt uns Waffen! Damit wir uns verteidigen können."
Nur wenige, mit denen sie gesprochen hat, stellen sich gegen die allgegenwärtige Angst. Oft sind es Leute, die Angehörige verloren haben oder einen Weg suchen, an diesen Verhältnissen nicht zugrunde zu gehen. Dass es diese Menschen gibt, ist die einzig gute Nachricht aus dem "Drogenkorridor Mexiko".
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