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■ Brüssel und die bretonischen KüstenrandaliererDie EU stinkt nach Fisch

Man hat sich schon fast daran gewöhnt. Mindestens einmal im Jahr suchen sich die französischen Fischer ein paar Fischmärkte aus, hauen alles kurz und klein, nennen das ganze Protest gegen Dumping und Billigimporte und fordern politische Maßnahmen. Wären es nicht die Fischer, sondern sagen wir die Arbeitlosen, die französische Regierung würde eine lange Liste von Verhaftungen vorlegen und von den Gerichten härteste Strafen verlangen. So aber hat der französische Premierminister Balladur umgerechnet 100 Millionen Mark als Soforthilfe bereitgestellt und die Europäische Kommission in Brüssel aufgefordert, Mindestpreise für Importfisch festzusetzen.

Aus Brüsseler Sicht ist die bretonische Küstenrandale in erster Linie ein französisches Problem, aber weil Frankreich über Einfluß verfügt, muß die Kommission auf die Forderungen eingehen. Sie kann unter bestimmten Voraussetzungen Mindestpreise für Importe festsetzen. Doch damit bestraft sie nicht nur die Verbraucher, sie beschneidet auch die Exportmöglichkeiten der Länder, die stärker auf solche Einnahmen angewiesen sind als beispielsweise Frankreich. Der von französischen Politikern gern wiederholte Vorwurf, vor allem polnische, russische und chinesische Fischer würden den europäischen Markt mit Dumpingpreisen kaputtmachen, ist so falsch wie albern. Was Dumping ist, zeigt die Europäische Union selbst am besten, wenn sie ihren Bauern – und mit Abstrichen auch den Fischern – ermöglicht, besonders günstig in die Dritte Welt zu exportieren. Der vielzitierte Billigfisch aus St. Petersburg ist nicht deshalb billig, weil die russische Regierung ihre Fischer subventionieren würde – dafür hat sie gar kein Geld –, sondern weil die Einkommen niedriger sind.

Aber der Dumpingvorwurf ist in den Ländern der Europäischen Union zur Zauberformel geworden, weil er den Eindruck erweckt, die unbequeme ausländische Konkurrenz erwirtschafte ihren Vorteil allein durch Mißachtung von Gesetzen. Wenn die Kommission darauf reagiert, dann nicht aus Einsicht, sondern weil sie unter dem Druck kaum noch anders kann.

Es ist gerade ein paar Wochen her, daß sich die Mitgliedsländer auf die Verteilung der Fangquoten und den Verzicht auf Mindestpreise für 1994 geeinigt haben. Die gemeinsame Fischereipolitik ist sicher kein Paradebeispiel für freie Marktwirtschaft. Aber sie ist ein Kompromiß zwischen den unterschiedlichen Interessen der Fischer, der Verbraucher, der fischverarbeitenden Industrie sowie handelspolitischen Überlegungen. Wenn die französischen Fischer – wie jedes Jahr – durch Gewalt eine Nachbesserung erzwingen, dann müssen zwangsläufig andere dafür zahlen.

Indem die französische Regierung das zuläßt, zum Teil sogar rechtfertigt, zeigt sie, welchen Stellenwert Europa in Paris noch hat. Der Streit um den Fisch beleuchtet ein grundsätzliches Problem der Europäischen Union. Sie ist seit dem Ende des kalten Krieges, seit ihr der ideologische Kitt verlorengegangen ist, noch mehr zum Basar verkommen. Es ist fast drollig, zuzuschauen, wie die deutsche Regierung versucht, ihren Partnern die Stabilisierung Europas als politisches Hauptziel der nächsten Jahre einzureden, während die anderen Länder, allen voran Frankreich, die Europäische Union nur noch als Marktplatz sehen, auf dem um den schnellen Vorteil gefeilscht wird. Alois Berger, Brüssel

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