Britische Punkband Gallows: "Ein verfickter Tsunami aus Hass"
Dass die Gallows gerade eine Million Pfund bekommen haben, ändert nichts an ihrer Abneigung gegen das Schweinesystem. Ein verfickt ernstes Gespräch über das Austricksen von Plattenfirmen
taz: Ihr bekommt eine Million Pfund für zwei Alben. Ein unglaubliche Summe heutzutage, die eure Plattenfirma niemals wird refinanzieren können, wenn eure Musik weiter so unkommerziell bleibt.
Frank Carter: Ich weiß das.
Weiß das die Plattenfirma auch? (Gelächter)
Stuart Gili-Ross: Der Preis ging so hoch, weil tatsächlich nahezu jedes Label weltweit uns verpflichten wollte. Und jedes dieser Label wollte den anderen beweisen, dass es die dicksten Eier hat und sich eine Band wie uns leisten kann.
Wie lief dieses Wettbieten ab?
Gili-Ross: Das war ziemlich surreal, aber wir haben es auch sehr genossen.
...ist ein Ereignis. Ein Kurzkampfeinsatz, der selten länger als 40 Minuten dauert, dafür aber bisweilen im Krankenhaus endet. Sieben Mal, schätzt Bassist Stuart Gili-Ross, habe bislang ein Mitglied der Band aus dem Südosten Englands einen Auftritt abbrechen und die Notaufnahme aufsuchen müssen. Vor allem Sänger Frank Carter, ein kaum 1,70 großes, schmächtiges Energiebündel, ist der Leidtragende, schlägt sich die Zähne am Mikrofon auf oder zieht sich an den Gitarrenhälsen der Kollegen Platzwunden zu, von "den üblichen Zerrungen, Prellungen, Blutergüssen und Schnittwunden" ganz zu schweigen. Die radikale Körperlichkeit ihrer Live-Auftritte findet ihre Fortsetzung in der Musik, die sich an amerikanischen Hardcore-Helden wie Minor Threat und Black Flag orientiert, wenige schwere Metal-Riffs adaptiert und ansonsten keine Kompromisse macht. Umso erstaunlicher, dass die 2005 formierte Band trotz ihrer wenigen radiotauglichen Songs nach einem frenetischen Wettbieten der großen Plattenfirmen einen Vertrag über eine Million britische Pfund abschließen konnte: für zwei Alben. Ihr schon vor einem Jahr auf einem kleinen Indie-Label veröffentlichtes Debüt "Orchestra of Wolves" wird nun von einem Major noch einmal herausgebracht. Frank Carter allerdings sieht seine Zukunft nicht als Musiker: Gallows seien nur ein Hobby, das Beruf wurde. Seine wahre Leidenschaft ist das Tätowieren, das der Autodidakt später professionell betreiben will.
Carter: Es war bizarr. Es ist immer noch bizarr: Wir werden jetzt gut bezahlt, aber ich weiß ehrlich gesagt immer noch nicht genau, warum und wofür. Mir ist nie wirklich klar geworden, was da passiert ist. Eigentlich ist es lächerlich: Schließlich gehen wir auf die Bühne und spielen unsere Musik in erster Linie für uns und für niemanden sonst. Ich weiß nicht, was diese Leute bei der Plattenfirma in uns sehen. Ich weiß auch nicht, was sie denken, was sie aus uns machen können. Aber eins weiß ich: Sie liegen definitiv falsch. (Lachend) Aber sollen sie ruhig, ich will mich nicht beschweren. Besser ich habe das ganze Geld, anstatt dass sie noch einen Pop-Act damit finanzieren, den niemand braucht. Wir sind wenigstens echt.
Habt Ihr das Gefühl, das System ausgetrickst zu haben?
Carter: Definitiv. Wir haben uns nicht verkauft, wir haben uns keinen Deut verändert. Wir haben viel Geld bekommen, um einer großen Plattenfirma zu erlauben, das härteste, kompromissloseste und unkommerziellste Stück Musik, das in diesem Lande seit langer Zeit veröffentlicht wurde, zu vertreiben. Wir haben immer noch die volle Kontrolle über die Musik, das Artwork, unsere Videos, völlig Kontrolle über unser Image. Niemand sagt uns, was wir zu tun haben. Wir haben gewonnen, wir haben sie alle gefickt.
Gili-Ross: Es ist ja nicht unser Fehler, dass wir so viel Geld kriegen. Wir würden immer noch dasselbe machen, wenn wir kein Geld dafür bekämen - dann halt nur im Keller.
Vor allem eure Live-Auftritte sind legendär. Immer wieder landet einer von euch im Krankenhaus und es gibt regelmäßig Übergriffe aus dem Publikum.
Gili-Ross: Frank bietet - vor allem wenn wir das erste Mal in einer Stadt spielen und die Leute die Texte nicht kennen - dem Publikum an, ihm ins Gesicht zu schlagen oder auf die Bühne zu kommen und uns zu treten. Einfach um die Leute ins Geschehen zu ziehen, die Barrieren zwischen Band und Publikum niederzureißen.
Die britische Presse schlachtet diese Geschichten ganz schön aus.
Carter: Wenn es nach denen geht, bin ich ein verfickter Rowdy. Ein kleiner dünner Schwachkopf, der rumläuft und Leuten auf die Fresse gibt. Die Wahrheit ist, dass ich es bin, der gewöhnlich auf die Fresse kriegt. Ich tue niemanden weh - außer mir selbst. Ich bin ein netter, ganz normaler Typ: Ich liebe meine Mum, ich liebe einen entspannten Nachmittag auf dem Sofa mit einer guten Tasse Tee.
Du trinkst keinen Alkohol, nimmst keine Drogen, bist Anhänger der Straight-edge-Bewegung. Wie hält es der Rest der Band?
Gili-Ross: Steph [Carter, Bruder von Frank und Gitarrist der Band] ist als einziger ebenfalls straight edge. Aber für mich funktioniert das nicht. Und für Frank ist es ganz gut, dass er keinen Alkohol trinkt. Er neigt doch ziemlich zum Jähzorn.
Carter: In unserer Musik geht es um die Kontrolle von Wut und darum, diese Wut wieder kontrolliert freizugeben. Ich habe den Ruf, ich sei ein wütender, wilder Charakter. Aber in Wirklichkeit bin ich einer der kontrolliertesten und diszipliniertesten Menschen, die ich kenne. Weil ich nämlich meine Wut regelmäßig und kontrolliert auf der Bühne ausleben kann.
Das ist allerdings ziemlich anstrengend. Frank hat mal gesagt, Gallows würden sich nach spätestens fünf Jahren auflösen.
Carter: Das war einfach eine Zahl. Gallows wird es so lange geben, wie es Gallows geben wird. Und niemand weiß, wie lange das dauern wird. Es wird eben so lange dauern, bis wir nicht mehr können.
Gili-Ross: Ich wäre verdammt überrascht, wenn wir überhaupt fünf Jahre zusammen schaffen würden. Wir sind ein ziemlich explosiver Haufen, viele extreme Charaktere. Und ständig auf Tour zu sein, das macht es nicht einfacher. Wenn wir nicht mehr genau die Band sein können, die wir sein wollen, dann wollen wir lieber gar keine Band mehr sein. Wir haben immer gesagt, wir hören auf, wenn es nur noch ein Job ist, wenn es keinen Spaß mehr macht, wir nicht mehr mit 110 Prozent spielen können. Und das ist ganz schön strapaziös, immer an der Front.
Erklärt diese Intensität euren Erfolg?
Carter: Die Leute lieben an uns, dass wir hin und wieder eine Bühne oder uns selbst demolieren. Vor allem aber lieben sie, dass wir keine normale Band sind, dass wir keine Rockstars sind. Wir laufen vor und nach dem Auftritt ganz normal durch die Kneipe. Es gibt kein Podest, auf dem wir stehen. Wir erheben uns nicht über das Publikum, wir sind nichts Besseres, nur weil wir auf der Bühne stehen und die davor. Deshalb geben wir auch keine Zugaben: Zugaben sind was für Rockstars.
Gili-Ross: Wir profitieren sicher auch an einem Mangel an Konkurrenz. Es ist ja keine große Kunst, besser zu sein als dieser Haufen langweiliger Bands, die allesamt austauschbar sind. Selbst Leute, die unsere Musik nicht mögen, müssen zugeben, dass wir anders sind. We fucking mean it. Wir machen nicht Musik, um Mädchen abzuschleppen.
Wie lange lässt sich diese Intensität aufrechterhalten?
Gili-Ross: Die Wut lässt, glaube ich, niemals nach. Die Sachen, die einen aufregen, die regen einen auch weiterhin auf. Es ist nicht zu befürchten, dass Gallows an absehbarer Zeit ihren Biss verlieren werden. Wir sind immer noch jung und voller Hass. Die Leute, die glauben, uns ginge es mittlerweile gut und wir hätten keinen Grund mehr, wütend zu sein, irren sich gewaltig.
Gallows werden also so hart bleiben?
Gili-Ross: Wir werden eher noch härter. Es ist so viel passiert, das uns anpisst, das muss alles noch raus. Man muss ja nur die Nachrichten gucken, mal in die Zeitung gucken. Das nächste Album wird ein verfickter Tsunami aus Hass.
INTERVIEW THOMAS WINKLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!