Briten liberalisieren Stammzellenforschung: Mischung von Mensch und Tier erlaubt
Das britische Parlament befürwortet die Herstellung von Embryonen aus Menschenerbgut und Tiereizellen - ebenso wie die gezielte Auswahl von Embryonen, um kranke Geschwister zu retten.
Das Londoner Unterhaus stimmte am Montagabend dagegen, die Herstellung von Embryonen aus menschlichem Erbgut und Eizellen von Tieren für die Stammzellenforschung zu verbieten. Premierminister Gordon Brown, dessen Sohn Fraser an Mukoviszidose leidet, hatte sich dafür eingesetzt, die Produktion solcher Chimären zu erlauben. Den Fraktionszwang hatte er, wie die anderen Parteiführer, aufgehoben. Mit 336 zu 176 Stimmen fiel das Ergebnis deutlich aus.
Die Chimäre (griechisch Chímaira, die Ziege) ist ursprünglich eine Figur der griechischen Mythologie, die Tochter der Ungeheuer Typhon und Echidna. Sie lebte in Lykien, ihre Geschwister waren Hydra, Kerberos und Sphinx. In der Neuzeit wurde der Begriff, der auch andere Arten von Mischwesen beschrieb, im übertragenen Sinne die Bezeichnung für ein Trugbild. In der Biologie werden Organismen mit Erbinformationen verschiedener Individuen als Chimären bezeichnet.
Noch deutlicher, mit 179 Stimmen Mehrheit, erlaubte das Unterhaus die Schaffung von "rettenden Geschwistern". Dazu werden Eizellen künstlich befruchtet und der Embryo, der die größte genetische Übereinstimmung mit dem kranken Kind hat, in die Gebärmutter eingepflanzt. Das Kind kann dann nach seiner Geburt Zellen aus der Nabelschnur oder dem Rückenmark spenden, mit denen das erkrankte Kind geheilt werden kann.
Der Entscheidung für die Hybrid-Embryonen, die aus einer tierischen Eizelle mit menschlichem Erbgut hergestellt werden, um den Mangel an menschlichen Embryonen bei der Stammzellenforschung auszugleichen, war eine sehr emotional geführte Debatte vorausgegangen. Der Tory-Abgeordnete Edward Leigh warnte, dass dieses Votum "die Grenzen zwischen Mensch und Tier einreißen" werde. "Wir sind wie Kinder, die mit Landminen spielen, ohne eine Ahnung von den Gefahren der Technologie zu haben", sagte er. Großbritannien werde dadurch fast zu einem Schurkenstaat.
"In Embryos ist das genetische Muster für einen kompletten Menschen angelegt, und wir dürfen es nicht mit dem Tierreich zusammenspleißen", sagte Leigh. "Wenn ein Embryo reden könnte, würde es aus Mary Shelleys Frankenstein-Buch zitieren: Ich, der Erbärmliche und Verlassene, bin eine Missgeburt, die verschmäht und zertrampelt werden muss."
Andere Kritiker argumentierten, dass man erwachsene Stammzellen oder induzierte pluripotente Stammzellen benutzen könne - also Zellen aus der Haut eines Erwachsenen, die in einen embryoähnlichen Zustand umprogrammiert werden. Außerdem stehe gar nicht fest, ob die Experimente mit Chimären überhaupt funktionieren werden. Der Labour-Abgeordnete Ian Gibson, ein ehemaliger Krebsforscher, entgegnete: "Wenn Wissenschaftler lediglich an Versuchen arbeiten würden, die mit Sicherheit erfolgreich sein werden, gäbe es sehr wenige neue Medikamente. Wissenschaftler müssen ermutigt werden, alles zu versuchen."
Man müsse sich außerdem vor Augen führen, dass diese Embryos, die nicht älter als 14 Tage alt werden dürfen, gar nicht für die Behandlung verwendet werden. "Sie werden aber hoffentlich dazu führen, dass wir besser verstehen, wie Stammzellen funktionieren, was dann wiederum die Entdeckung von Heilungsmethoden wahrscheinlicher macht", sagte Gibson.
Transportministerin Ruth Kelly, Verteidigungsminister Des Browne und Wales-Minister Paul Murphy stimmten ebenso für ein Verbot wie das Tory-Schattenkabinett. Lediglich Tory-Chef David Cameron sagte, er hoffe, dass mithilfe der Stammzellenforschung Behandlungsmethoden für seinen behinderten Sohn Ivan entwickelt werden können. "Mein Sohn leidet unter Epilepsie und Zerebralparese", sagte er. "Wenn man sieht, wie er leidet, und wenn wir etwas gegen dieses Leiden tun können, sollten wir es dann nicht versuchen?"
In 21 Ländern ist diese Art der Forschung verboten, darunter Australien, Kanada, Frankreich, Italien und Deutschland. "Die Herstellung von Chimären ist in Deutschland verboten und wird es auch bleiben", sagte ein Sprecher von Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) gestern in Berlin.
Chinesische Wissenschaftler waren 2003 die ersten, die an der Universität Schanghai Kaninchenembryonen mit menschlichem Erbgut hergestellt haben. Im nordenglischen Newcastle haben Forscher erst vor kurzem mit einer Sondergenehmigung eine Chimäre erzeugt. Wenn das Gesetz 2009 in Kraft tritt, ist die Herstellung von Hybrid-Embryos in Großbritannien generell erlaubt.
Der Geschäftsführer des Medizinischen Forschungsrats, Leszek Borysiewicz, sagte, die Entscheidung des Unterhauses werde Großbritannien einen Vorsprung in der Embryoforschung verschaffen. Adam Rutherford, ein schottischer Wissenschaftsjournalist, schrieb gestern: "Es geht hier nicht um Liberale gegen Reaktionäre, sondern um Beweis gegen Gefühl. Und Gefühl hat keinen Platz in der Wissenschaft. Hinterlistige Kritiker wie die führende Abtreibungsgegnerin und Abgeordnete Nadine Dorries greifen zu gefühlsgeladener Manipulation, um ihre eigene religiöse Agenda durchzusetzen."
Die katholische Kirche hatte die Herstellung von Chimären als "monströs und unmoralisch" bezeichnet. "Indem sie dem Druck der biotechnologischen Industrie nachgegeben hat, hat diese Regierung auf höchst arrogante Weise große moralische und ethische Bedenken ignoriert", sagte Andrew Fergusson vom Christian Medical Fellowship. Und Gerald Kaufman, ein ehemaliger Labour-Außenminister, fragte: "Wie weit will man gehen? Wo hört man auf? Was werden sie als Nächstes beantragen, selbst wenn sie keine Ahnung hat, wo das hinführen wird?"
Der Labour-Abgeordnete Chris Bryant sagte, die Argumente ähnelten denen der Kirchenführer gegen die Pockenimpfung. "Sie hatten damals unrecht, und sie haben heute unrecht", sagte er.
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