■ Brasiliens Präsident legt Plan für Menschenrechte vor: Und doch ist er ein ehrenwerter Mann
Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso ist ein ehrenwerter Mann. Als im April 19 Landlose von der Militärpolizei im Amazonas erschossen wurden, unterbrach er seine alltägliche Routine im Regierungspalast. Er verlangte nach rigoroser Bestrafung der Schuldigen, ernannte einen neuen Agrarreformminister und schickte einen Gesetzesentwurf an den Kongreß, der die Beschleunigung von Enteignungsverfahren vorsah. Die Ermittlungen kommen schleppend voran. Die Beschleunigung der Enteignung von unproduktiven Ländereien wurde von der Mehrheit des Kongresses als nicht besonders dringend eingestuft.
Jetzt hat Fernando Henrique Cardoso einen nationalen Plan für Menschenrechte vorgelegt. Das ist ehrenwert. Doch leider handelt es sich bei dem Vorhaben eher um eine Marketingstrategie als um einen politischen Kraftakt. Denn die Reformvorschläge bedürfen der Zustimmung des brasilianischen Kongresses. Die konservative Mehrheit der Volksvertreter beschäftigt sich lieber mit der Subvention des kränkelnden privaten Bankensystems und der Privatisierung von Staatsbetrieben als mit der Pflege von Menschenrechten oder gar der Agarreform. Erst vor zwei Tagen kippte der Senat einen Gesetzesentwurf, wonach Militärpolizisten, die mit der Dienstwaffe Gewaltverbrechen begehen, in Zukunft der zivilen Gerichtsbarkeit unterstellt werden. Schließlich sitzen in dem Hohen Haus mehrere Ex-Gouverneure, denen die Militärpolizei einst unterstand und die sich ihren Kameraden gegenüber verpflichtet fühlen.
Auch der Schutz von Indianerrechten, im nationalen Plan für Menschenrechte erneut erwähnt, ist von der Regierung Cardoso in der Praxis unterlaufen worden. Statt Indianerland in geschützte Reservate umzuwandeln, förderte die brasilianische Regierung zu Beginn dieses Jahres die Möglichkeit, Einspruch gegen die Demarkierung der Reservate zu erheben. Doch Fernando Henrique Cardoso ist ein ehrenwerter Mann. Manchmal, spätestens beim nächsten Massaker, erinnert er sich daran, daß er im Herbst 1994 nicht mit der Arbeiterpartei, sondern mit einer Koalition konservativer Gruppierungen den Wahlkampf gewonnen hat. Seine Koalitionspartner nutzen das progressive Image des Soziologieprofessors, um ihren Dienst an mächtigen Interessengruppen zu kaschieren. Bis jetzt ist Cardoso bereit, den Preis für die Allianz der Macht zu zahlen. Der ehrenwerte Präsident Brasiliens ist in schlechte Gesellschaft geraten. Astrid Prange
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen