Brandenburger Tor: Flüchtlinge am Tropf

ASYL I Noch halten die Flüchtlinge ihren Hunger- und Durststreik durch – weil sie im Krankenhaus wieder aufgepäppelt werden

„Wir werden uns nicht wehren, dafür sind wir zu schwach“

SIBTAIN NAQVI, HUNGERSTREIKER

VON KERSTEN AUGUSTIN

Im Hotel Adlon bereitet man sich auf einen Staatsbesuch vor: Mahmud Abbas ist zu Verhandlungen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Stadt, der Palästinenserpräsident und damit Vertreter der größten Flüchtlingsgruppe der Welt. Er residiert im Hotel am Pariser Platz, und wenn er abends aus seinem Hotelzimmer schaut, sieht er auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor eine kleine Gruppe Flüchtlinge, umringt von einem Kreis aus Regenschirmen. Seit 10 Tagen sind dort 29 Flüchtlinge im Hungerstreik, seit 5 Tagen trinken sie auch nicht mehr.

Einige von ihnen waren bereits im Sommer am Hungerstreik in München beteiligt. Das Camp dort wurde nach dem fünften Tag des Durststreiks geräumt – wegen unmittelbarer Lebensgefahr. In Berlin ist dieser Zeitpunkt in der Nacht zu Samstag überschritten.

Anerkennung von Asyl

Wie es um die gesundheitliche Situation der Flüchtlinge steht, die für die Anerkennung ihrer Asylanträge streiken, ist unklar. Immer wieder kollabieren sie und werden ins Krankenhaus gefahren, kehren aber nach einigen Stunden zurück und setzen den Hungerstreik fort. In den Rettungswagen der Feuerwehr bekommen die Flüchtlinge auf dem Weg zum Krankenhaus Infusionen, entweder Kochsalz- oder eine Glukoselösung, erklärt Stefan Poloczek, Ärztlicher Leiter der Berliner Feuerwehr, der Anfang der Woche im Einsatz am Brandenburger Tor war. „Eine Flasche hat 500 Milliliter und kann in 10 Minuten infundiert werden.“ Künstlich ernährt würden die Flüchtlinge nicht, sie würden also durch die Infusionen nur kurz aufgepäppelt. „Trotzdem reicht es nicht, immer wieder Infusionen zu geben, wenn das Nierenversagen einmal eingesetzt hat“, sagt Poloczek. Er schätzt die Lage der Flüchtlinge als sehr kritisch ein und nennt eine Faustregel: Nach drei bis vier Tagen ohne Wasser werde der Zustand problematisch. Unmittelbare Folgen können neben Nierenversagen auch Verstopfungen und Blutungen sein, aber auch neurologische Störungen und Krampfanfälle.

Doch wer ist für die medizinische Versorgung am Pariser Platz zuständig? Die Rettungskräfte der Feuerwehr werden nur gerufen, wenn ein Flüchtling kollabiert, sie sind nicht ständig vor Ort. Ein Sprecher der Polizei sagte am Freitag, man habe sich von den Organisatoren versichern lassen, dass jederzeit medizinisches Personal durch Unterstützer des Streiks präsent ist. „Das war uns sehr wichtig,“ betonte er.

Am Platz sieht man einzelne junge Männer, sie tragen ein weißes Stoffband um den Arm. Sibtain Naqvi, einer der Sprecher des Hungerstreiks, erklärt, das seien Medizinstudenten. Eine professionelle medizinische Versorgung vor Ort ist aber auch von den Flüchtlingen nicht gewünscht. „Wir wollen nicht, dass die Regierung zwar nicht mit uns spricht, aber sich gut fühlen kann, weil sie uns versorgt“, sagt Naqvi.

Doch muss man nicht irgendwann eingreifen, wenn sich Menschen in Lebensgefahr begeben? Rechtlich könne zunächst niemand daran gehindert werden, in den Hungerstreik zu treten und dabei bis zum Äußersten zu gehen, sagt Michael Pawellek, Sprecher der Berliner Feuerwehr. Bei Bewusstlosigkeit werde jedoch so gehandelt, wie es vermutlich im Interesse der Person sei: Also wird das Leben des Menschen gerettet und eine Infusion gesetzt. Sobald die Flüchtlinge im Krankenhaus wieder bei Kräften sind, lehnen die meisten von ihnen jedoch die weitere medizinische Versorgung ab.

Am Freitagnachmittag sitzen die Flüchtlinge im engen Kreis, Schulter an Schulter. Sie beratschlagen, wie es weitergehen soll, nachdem bislang kein politisch Verantwortlicher mit ihnen gesprochen hat. Nach einigen Stunden präsentiert Sibtain Naqvi das Ergebnis. Wer ihn verstehen will, muss nahe an ihn herantreten, seine Stimme ist geschwächt: „Wir machen weiter.“ Auf eine eventuelle Räumung des Camps bereiten sie sich nicht vor: „Wir werden uns nicht wehren, dafür sind wir zu schwach.“