■ Bonn und die Harmonisierung des europäischen Rüstungsexports: Einigung auf niedrigstem Level: Von den Tücken der Harmonie Lobbyismus wider alle Vernunft
Harmonie gilt landläufig als positiver Begriff, und Harmonie in Europa ist sicher auch etwas Feines. Um diesem Ziel näherzukommen, betreibt die Politik nun schon länger ein Projekt unter dem Stichwort Harmonisierung. Darunter versteht die Brüsseler Bürokratie erst einmal ganz neutral eine Annäherung gesetzlicher Regelungen in den verschiedenen Ländern der Europäischen Union, um gemeinsame Politik praktikabel zu machen oder aber Probleme, die länderübergreifenden Charakter haben, in größerem Rahmen zu lösen. Das reicht von gemeinsamen DIN-Normen über Schadstoffausstoß bis zum Umgang mit Flüchtlingen und, seit neuestem, einer gemeinsamen Haltung zu Waffenexporten. Die ist auch dringend notwendig, wie ein Fall zeigt, der in dieser Woche publik wurde. Da umgeht ein niederländischer Konzern ein Exportverbot für Splittergranaten in die Türkei, die in einem deutschen Zweigwerk produziert wurden, indem die Granaten erst über Holland verfrachtet und schließlich die gesamte Granatenfabrik in die Türkei verlegt wird. Kaum hatte sich die Bundesregierung endlich einmal dazu aufgerafft, Waffen, die der Nato- Partner Türkei im Bürgerkrieg gegen die Kurden einsetzen wollte, zurückzuhalten, schon springt der Nato- und EU-Partner Holland in die Bresche und macht den politischen Kraftakt in Bonn zunichte. Harmonisierung ist also dringend vonnöten, nur droht sie wieder einmal in die völlig falsche Richtung zu gehen.
Statt Rüstungsexporte EU-weit stärkerer Kontrolle zu unterwerfen, sollen die Länder zum Maßstab genommen werden, die am skrupellosesten Waffen verkaufen – in Spannungsgebiete, an kriegführende Parteien und jeden Diktator, der das Zeug bezahlen kann. Das soll angeblich Arbeitsplätze in Europa sichern und den technologischen Standard hiesiger Industrie konkurrenzfähig halten. Eine gestern vorgelegte Studie erhärtet den Verdacht, daß diese Argumente – jenseits einer moralischen Wertung – auch noch falsch sind. Der Hamburger Friedensforscher Peter Lock hat anhand früherer sowjetischer und US- amerikanischer Waffenverkäufe nachgewiesen, daß diese Exportschlager volkswirtschaftlich schädlich, weil mit gesamtwirtschaftlichen Verlusten verbunden gewesen seien. Hohe Subventionen und Koppelgeschäfte mit den Importeuren hätten zwar den Rüstungskonzernen genutzt, seien aber insgesamt auf Kosten des Steuerzahlers erfolgt. Hinzu kommt – gerade für ein auf Exporte dringend angewiesenes Land wie die Bundesrepublik – ein weiteres Argument: Waffenkäufe verschlingen Unsummen der Etats von Dritte-Welt-Ländern, die sie dann logischerweise nicht mehr für zivile Importe ausgeben können. Ein Zusammenhang, der vor allem Ländern schadet, die von ihren zivilen Exporten leben.
Wenn die Außenpolitiker der Union dennoch auf Freizügigkeit im Waffenhandel drängen, müssen sie andere als wirtschaftliche Gründe haben. Die Protagonisten der Waffenlobby sollten endlich gezwungen werden offenzulegen, warum die Bundesrepublik, wider alle Vernunft, für eine Harmonisierung der Waffenexportrichtlinien auf niedrigstem gemeinsamem Level eintreten soll. Jürgen Gottschlich
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