■ Bonn-apart: Wie Bonn für mehr Fleiß wirbt
Bonn (taz) – Das Pärchen sitzt auf einer Wiese. Er (kurze blonde Haare, hellblaues T-Shirt) legt seinen Arm um sie (lange blonde Haare, rotes Mini-Kleid, Blumenstrauß im Schoß). Beide schmücken das Titelbild der neuesten Publikation des Bundespresseamtes, des Journals für Deutschland. Was will uns die Regierung mit diesem Bild sagen? Daß Kondome schützen? Daß sich Ossis und Wessis ganz doll liebhaben? Daß unter Helmut Kohl tausend Blumen blühen?
Alles falsch. „Standort Deutschland: Fleiß ist wieder gefragt“, dies ist die Botschaft, die das Pärchen überbringt. Wir lesen: „Der Wirtschaftsstandort Deutschland steht an einer historischen Wendemarke, die alle Bürger betrifft. Helmut Kohl hat das zum Anlaß genommen, die Deutschen zu wieder größerem Fleiß aufzurufen.“ Zu wieder größerem Fleiß. Nach elf Jahren schon Faulheit unter historische Regierung Kohl. Bundespresseamt nix deutsch?
Nein, das Bundespresseamt ist lediglich sparsam. Das neue Journal, so erfahren wir, wird alle zwei Monate erscheinen, kostenlos verteilt und löst zwei ältere Publikationen ab. Es ist umfangreicher, bunter und trotzdem „wesentlich preisgünstiger“: Pro Heft koste es nur 56,2 Pfennig. Daß die Auflage des Journals mehr als doppelt so hoch ist, wie bei seinen Vorgängern, führt allerdings zu einem Nebeneffekt, den das Amt erst auf Nachfrage verrät: Die jährlichen Gesamtkosten steigen von 1,6 Millionen auf 3,4 Millionen Mark.
Tröstlich: Selbst beim Journal hat man noch Schwierigkeiten, sich auf die neue Epoche der Pfennigfuchserei und Plackerei umzustellen. Bilder von schwitzenden Arbeitern suchen wir auf den 24 Seiten des Heftchens jedenfalls vergeblich. Stattdessen: Noch ein turtelndes Pärchen im Grünen („Die Jugend ist optimistisch“), angelnde Rentner („Auf die Rente ist Verlaß“), eine Familie am Strand („Die Gesundheitsreform war erfolgreich“), zwei händchenhaltende Kinder im Kornfeld („Zukunft in einem starken, gemeinsamen Europa“) und Innenminister Manfred Kanther, wie er Rosen schneidet.
Kanther, lesen wir, „arbeitet gern und viel“. Offenbar ein Exot. Genauso wie Rudolf Kraus, CSU-Staatssekretär im Arbeitsministerium. Das Journal schreibt über ihn: „Katholisch. Zwei Kinder. Liebt seine Frau.“ Donnerwetter. Wer hätte das gedacht. Wo doch schon der Theo Waigel sich jetzt scheiden läßt! „Der Erklärungsbedarf der Politik ist gestiegen“, begründet übrigens das Bundespresseamt den Bedarf für das neue Heftchen. Und es gebe „keinerlei Zusammenhang“ mit dem Wahljahr 1994. Aber logo. Hans-Martin Tillack
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