■ Bonn apart: Wo ist der Feind?
Wer hätte gedacht, daß das Bonner Geschäft Überraschungen bereithält, die liebgewordene Denkgewohnheiten schwer erschüttern können? Nehmen wir die Debatte vom Donnerstag über den Nichtverbreitungsvertrag. Von wem stammte wohl die Forderung, künftig keine Atomwaffen mehr in militärische Planungen einzubeziehen? Wer sagte, es dürfe „keine militärische Strategie mehr geben und keine Doktrin, die – und sei es als Ultima ratio – den Einsatz von Atomwaffen vorsieht“?
Ausgerechnet CDU-Hardliner Alfred Dregger stibitzte Gedanken bei der Friedensbewegung und warb für die „Befreiung der Menschheit von Waffensystemen, die nicht nur einzelne Städte und Landstriche, sondern die Welt als Ganzes verheeren können“. Damit verblüffte er nicht nur die Abgeordneten vom Bündnis 90/ DieGrünen, er erntete auch spontanen Beifall von der SPD.
Was trieb den mittlerweile 74jährigen dazu, indirekt sogar die Militärstrategie der Nato in Frage zu stellen? Naheliegende Vermutungen über Zusammenhänge mit der morgigen Wahl in seiner Heimat Hessen führen in die Irre: CDU-Spitzenkandidat Manfred Kanther, gewissermaßen Dreggers Nachfolger als Garant knallhart-konservativer Politik, kann pazifismusverdächtige Wahlhilfe nicht gebrauchen. Oder wird Dregger, früher ein polemischer Kritiker linker Umtriebe, altersweise?
Wahrscheinlich probiert eine einfallsreiche Union nur eine neue, unberechenbare Waffe gegen die erstarkte Opposition aus. Geht es dem ehemaligen CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden darum, den politischen Gegner schwer zu schocken, indem er ihn zwingt, Abschied von einem Lieblingsfeind namens Alfred Dregger zu nehmen? Die Opposition sollte gerüstet sein. Denn dem CDU-Politiker bieten sich in der laufenden Legislaturperiode Dutzende von Gelegenheiten, den Gegner nachhaltig zu verunsichern. Was tun, wenn Dregger demnächst eindringlich für die doppelte Staatsbürgerschaft streitet oder ultimativ die Rehabilitierung der Opfer der NS- Militärjustiz fordert? Hans Monath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen