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Bobby Rafiq Bobsens SpätiStrammstehen an der Bordsteinkante

Foto: Faruk Hosseini

Manchmal können die läppischsten Situationen voller Bedeutung sein und daher doch nicht allzu läppisch. Ganz im Gegenteil, man sollte sie soziologisch untersuchen, womöglich noch besser politisch und psychologisch betrachten. Im besten und gar nicht mal so unwahrscheinlichen Fall würde es vermutlich spannende Erkenntnisse zutage befördern.

Einer dieser scheinbar unbedeutenden Momente spielt sich jeden Tag auf unseren Straßen ab. Nämlich an roten Fußgängerampeln. Gerade erst musste ich wieder schmunzeln, als ich an einer stand. Ehrlich gesagt, habe ich nicht lange gestanden, ich lief bei Rot rüber. Mache ich öfter so, ganz entspannt. Movement of jah People … Ich weiß, so etwas tut man nicht. Schon in der Kita heißt es ja, „Bei Grün darfst du gehen, bei Rot muss du stehen“. Bin ich deshalb bar jeder Verantwortung? Besonders rebellisch? Oder weder noch, weil … mein Gott, wen interessiert das schon? Außerdem machen das viele, in einer Stadt wie Berlin sehr viele. Es geht also nicht um mich, auch nicht um die Gesamtheit aller Regelbrecher:innen. Es geht um eine sehr spezielle Gruppe.

Was mich zu meinem Schmunzler zurückführt. Um es präziser zu formulieren: Ich schmunzele nicht beim Stehen, es ist der Moment, wenn ich loslaufe. Manchmal lache ich, statt zu schmunzeln. Weil es auffälliger ist. Dabei schüttele ich auch gerne mal demonstrativ den Kopf. So als rein präventive Reaktion: Ehe die anderen den Kopf schütteln, weil ich loslaufe, tue ich es selbst, weil sie wie angewachsen stehenbleiben.

Mit Kindern an der Ampel ist das natürlich tabu. Unangeleinte Hunde wären auch ein Grund. Ich will doch nicht der Christian Lindner unter den Fuß­gän­ge­r:in­nen sein und dafür sorgen, dass meinetwegen irgendeine süße Töle überfahren wird. Pfui! Auch pesende Autos halten mich selbstverständlich zurück. In Berlin wird oft und gerne gepest. Und nur selten sprinte ich zwischen zwei Autos rüber, außer sie stehen im Stau.

Mein Szenario spielt sich eher in übersichtlichen Situationen ab, offengestanden ist meistens weit und breit kein Auto zu sehen. Und jetzt kommt’s: Was sind das für Leute, die trotzdem stehenbleiben? Komme, was wolle? Na ja, es kommt ja nichts. Strammstehen an der Bordsteinkante. Der Blick starr geradeaus, als gäbe es Haltungsnoten einer „So ist es brav“-Jury, eigens einberufen für die obrigkeitshörigen Befehlsempfänger:innen. Ich schreibe mich in Rage, tut mir leid, das hilft niemandem.

Aber warum zum Verkehrshenker macht man das? Aus Angst? Vor wem? Vom Blaulichtmilieu fehlt jede Spur, Blitzer für Fuß­gän­ge­r:in­nen gibt es keine. Besonders ins Herz geschlossen habe ich jene unter ihnen, die sich über einen aufregen.

Manche wirken so obsessiv konformistisch, dass ich mir vorstelle, wie sie sogar an einer Straße ohne Ampel warten – auf die Installation selbiger, nur um dann bei Rot stehenzubleiben und über die Verstöße anderer zetern zu können. Dieses sonderbare Verhalten zieht sich durch alle Altersgruppen und Szenen.

Ehe die anderen den Kopf schütteln, weil ich loslaufe, tue ich es selbst, weil sie wie angewachsen stehenbleiben

Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich empfinde den übertriebenen Hang zur Konformität als befremdlich, er gruselt mich ein wenig. Zeigen sich hier bereits Züge des autoritären Charakters? Würden Adorno und Co mit den Ohren schlackern? Ich jedenfalls bin froh, in einer Stadt zu leben, in der ein pragmatischer Umgang mit Ampeln gepflegt wird. Oder muss man sich im Vorfeld der nächsten Berlin-Wahl im kommenden Jahr vor einer urbanen MAGA-Bewegung sorgen? Von wegen „Make Ampel Great Again“? Na, dann kommt doch, wenn ihr euch traut, das Rotlichtmilieu wird sich zu wehren wissen.

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