Bob-Gockel stolziert

Phillip Boa spielte vor einem deutlich gereiften Publikum im Postbahnhof den altbekannten Unsympathen und erfand dabei den Indiepop nicht neu

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Phillip Boa hat sich seinerzeit mal eine schwierige Bühnenpersönlichkeit ausgesucht. Seine uncharmante Art führte zu der schönen Tradition, dass ihn früher selbst seine Fans auf den Konzerten mit „Arschloch!“-Rufen begrüßten. Das ist heute nicht mehr so, aber Boa ist immer noch der unsympathischste Mensch, der einem auf einer Bühne begegnen kann.

Phillip Boa war in den Achtziger-Anfangsjahren durch englischen Punk inspiriert, manchmal klang seine Band Voodoo Club fast nach Human League, es gab immer wieder schöne, dunkle Momente. 1986 ernannte man ihm zu Erfinder des „Independent Pop made in Germany“. Er tat viel dafür, wie ein Avantgardist zu wirken – trotzdem kam seine Musik nie über den Status hinaus, eher was für Popper zu sein, wie man die Neokonservativen damals noch nannte.

Sein Bildungsgestus machte ihn auch nicht sympathischer: Er namedroppte gern Stockhausen, ließ im Presseinfo verlauten, er sei vom französischen Spätimpressionismus beeinflusst, und entblödete sich nicht, Zeilen wie „I feel like a protagonist in a film noir“ zu singen. Mittlerweile ist der deutsche Indie-Pop schon ein paarmal ganz anders neu erfunden worden, weswegen der Dortmunder und Wahlmalteser seine neueste CD ein bisschen trotzig „Decadence & Isolation“ getauft hat. Boa-Kenner klassifizieren sie als eines der besseren der letzten 14 Alben, produziert hat es Gordon Raphael, der sonst ja für die Strokes zuständig ist.

Im Postbahnhof warten am Donnerstagabend dicht gedrängt dann doch nicht die Neocons, sondern die Fans aus alten Tagen auf den Sänger: Altpunks in Frakturdruck-Shirts, Altmänner mit knöchellangen Ledermänteln, richtig hässliche Altpärchen über vierzig. Unter Jubel kommt der angebliche deutsche Brian Ferry mit Band auf die Bühne: eine imposante Erscheinung, an die zwei Meter groß, schwarzer Anzug, dazu der Gesichtsausdruck des beleidigten Stoffels. Zuerst gibt es zwei Stücke aus dem neuen Album zu hören – textlich bewegt sich das mit schöner Kontinuität zwischen Mystik und Banalität –, dann folgt schon ein älterer Hit: „Albert Is a Headbanger“, in dem typisch Boa’schen Denglisch. Sängerin Pia, Ex-Boa-Ehefrau, steht meistens seitlich im Dunkeln, geht immer wieder von der Bühne und kehrt pflichtschuldig zurück, um die Leere zu füllen, die entsteht, wenn Boa im Gockelgang über die Bühne stolziert.

Die neuen Songs „21 Years of Insomnia“ und „Decadence And Isolation“ überzeugen durch eingängige, gefällige Melodien. Man kann Phillip Boa ein gewisses Talent zum Popsong-Schreiben nicht absprechen. Und doch fehlt das gewisse göttliche Moment, das Zwingende. Vielleicht liegt es an der Stimme, die leicht verzerrt wird und nicht greifen will. Interessant dagegen die Körpersprache des Sängers. Der eitle Poser verfügt über ein ganzes Ensemble exaltierter Bewegungen: Er ist wütender Landadliger und nervöser Roboter, dann wieder scheint ihn ein plötzlicher Fieberanfall zu schütteln.

Auch über die Frisur muss gesprochen werden: ein hinten kürzerer, vorne kinnlanger Bob – seit eh und je. Immer noch kann man viel machen mit so einer Frisur: Fällt das dünne graubraune Haar beim Gitarrespielen als Gesichtsvorhang nach vorne, kann man es mit einem energisch genervten Ruck über die Stirn nach hinten werfen. Man kann aber auch die langen Seitensträhnen mit den Fingern fassen und sie immer wieder hinter die Ohren klemmen. Phillip Boa wird im Laufe des Konzerts wohl 180 bis 200 Mal das Haupthaar gerichtet haben.

Dem Publikum gefiel das alles sehr, es sprang begeistert auf und ab und ließ sich gerne durch die herrischen Handbewegungen des Sängers dirigieren. Sängerin Pia Lind durfte später ein wenig aus dem Hintergrund treten und eine ganz schöne Coverversion von „Femme Fatale“ von Velvet Underground zum Besten geben. So ging der Abend unter krachigem Garagen-Sound und vielen Hitmelodien zu Ende. Wem Phillip Boa schon immer suspekt war, der konnte sich sich durch diese Konzertneuauflage nur bestätigt fühlen – der Rest war hin und weg.