Blair-Rücktritt: Tatort Downing Street
Nach 10 Jahren gibt der dienstälteste Regierungschef sein Amt auf. Kein strahlender Abgang - Korruptionsvorwürfe überschatten die Ära Blair.
Mit einem geruhsamen Rentnerdasein wird es vorerst nichts. Auch nach seinem am Mittwoch anstehenden Rücktritt als britischer Premierminister wird Tony Blair einige Fragen beantworten müssen. Die Parteispendenaffäre, bei der Labour Oberhaussitze verkauft haben soll, hat man vorübergehend ruhen lassen, um ihm nicht die letzten Wochen seiner Amtszeit zu verderben. Doch dann platzte vor zwei Wochen die Nachricht über "al-Yamamah" herein, arabisch für "Taube", den größten britischen Waffendeal aller Zeiten.
Der scheidende Premierminister Tony Blair ist offiziell für den Posten des internationalen Nahost-Sondergesandten im Gespräch. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon habe sich
darüber mit einigen Mitgliedern des Nahost-Quartetts am Telefon unterhalten, sagte UN-Sprecherin Michèle Montas vergangene Woche. Die Frage einer Ernennung Blairs zum Nahostbeauftragten sei "in der Diskussion", sagte sie weiter. Aus britischen Regierungskreisen verlautete, möglicherweise werde es Monate bis zu einer Ernennung Blairs dauern.
Die von US-Präsident George W. Bush und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon betriebene Besetzung ist offenbar aber weder mit der Europäischen Union noch mit Russland abgesprochen worden und werde deshalb mit einiger Skepsis beurteilt. Das berichtet das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe. In Berlin und in Brüssel werde befürchtet, dass Blair als treibende Kraft des Irakkrieges für die arabische Welt als Makler nicht akzeptabel sei. AFP
Die multinationale Aktiengesellschaft BAE Systems, in Europa die Nummer eins unter den Rüstungskonzernen mit 88.000 Angestellten, hat in den vergangenen 20 Jahren mehr als 100 Kampfflugzeuge nach Saudi-Arabien geliefert. Eingefädelt wurde das Geschäft 1985 von Prinz Bandar, dem Sohn des saudischen Verteidigungsministers Prinz Sultan. Dafür wurde er fürstlich belohnt. BAE, 1999 hervorgegangen aus einer Fusion von British Aerospace und Marconi Electronic Systems, zahlte Bandar mehr als eine Milliarde Pfund an Schmiergeldern. Als Dreingabe bekam er zum Geburtstag 1998 ein Flugzeug - einen Airbus 340 im Wert von 75 Millionen Pfund, den BAE in den Farben des American-Football-Teams Dallas Cowboys, Bandars Lieblingsmannschaft, streichen ließ. Der Rüstungskonzern zahlt seitdem auch den Unterhalt für die Maschine. Beamte vom britischen Betrugsdezernat kamen der Sache vor zwei Jahren auf die Spur, doch im Dezember 2006 wurde die Untersuchung plötzlich eingestellt: Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith, ein enger Freund Blairs, wollte die Zahlungen vor der internationalen Antikorruptionsbehörde der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geheim halten. Gegenüber Kollegen sagte Goldsmith, dass die "Komplizenschaft der Regierung" ans Licht käme, wenn die Untersuchung weiterginge. Doch die Aufsichtsbehörde der OECD war bereits hellhörig geworden und leitete eine eigene Untersuchung ein.
Von den Briten erfuhr das OECD-Organ nur das Nötigste. Von den Zahlungen an den Prinzen war keine Rede. Die britische Untersuchung habe man aus Gründen der "nationalen Sicherheit" gestoppt, wollte man den internationalen Ermittlern weismachen. Im Oktober 2006 nahm das Verteidigungsministerium zahlreiche Unterlagen, die für die Untersuchung des Al-Yamamah-Geschäfts von Interesse sein konnten, aus den öffentlichen Archiven. Doch die Bürgerinitiative "Kampagne gegen Waffenhandel" hatte das Material bereits gesichtet und auf ihre Website gestellt.
Der Al-Yamamah-Deal hat BAE Systems in den vergangenen 20 Jahren mehr als 40 Milliarden Pfund eingebracht. Der erste Vertrag war in der Amtszeit von Margaret Thatchers unterzeichnet worden, der Folgevertrag wurde 1993 abgeschlossen. Doch vor der dritten Phase bockten die Saudis. Sie stellten die Bedingung, dass die britische Polizei die Untersuchung der Geschäfte einstellt. Blair flog 2005 nach Riad und versprach, das Problem zu lösen. Bürgerrechtler werfen Blair vor, dass er die Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien nie zur Sprache gebracht hat, um das Geschäft nicht zu gefährden.
Nach Angaben des Rüstungskonzerns BAE wurden sämtliche Zahlungen in Zusammenhang mit dem Al-Yamamah- Deal von der Regierung abgesegnet. Die übernahm auch eine Garantie für die Vertragserfüllung, sollte Saudi-Arabien überraschend pleitegehen. Um die Bestechungsgelder aufzutreiben, hatte das Unternehmen mit Zustimmung der Saudis einfach den Preis für die Flugzeuge um 32 Prozent erhöht.
BAE hat auf Druck der Öffentlichkeit nun den pensionierten Lordrichter Harry Woolf mit einer "externen und unabhängigen" Untersuchung beauftragt. Allerdings darf der Lord nur das aktuelle Verhalten der Firma in Augenschein nehmen. Die Vergangenheit ist tabu. Mitarbeiter der Kampagne gegen Waffenhandel vermuten, dass es auch bei den Rüstungsgeschäften mit Tansania, Tschechien, Chile, Südafrika und Katar nicht mit rechten Dingen zuging.
Fest steht immerhin, dass die Regierung über die Zahlungen an Prinz Bandar nicht nur informiert war, sondern bei den Transaktionen eine aktive Rolle gespielt hat. Die Gelder wurden von der Bank of England auf die Konten des Prinzen in der Schweiz und in den USA gezahlt. Deshalb will das US-Justizministerium eine eigene Untersuchung einleiten, was auch für Blairs Nachfolger Gordon Brown unangenehm werden könnte. Denn als Schatzkanzler, der er noch bis Mittwoch ist, war er für die Bank of England verantwortlich.
Blair rechtfertigte die Bestechungszahlungen und das Abwürgen der Untersuchung: Andernfalls hätte man die guten Beziehungen zu Saudi-Arabien ruiniert. Und das hätte tausende britischer Jobs gekostet. "Falls man jemandem die Schuld an der Sache geben will, nehmt mich", erklärte Blair. "Ich übernehme gerne die Verantwortung." Bei der Parteispendenaffäre hingegen weist Blair jede Schuld von sich.
Es begann vor einem Jahr mit der harmlos scheinenden Anfrage eines Abgeordneten der kleinen Schottischen Nationalpartei (SNP): Der Politiker wollte wissen, ob sich die regierende Labour Party als Kredite getarnte Spenden von reichen Gönnern besorgt und diesen im Gegenzug Adelstitel und Oberhaussitze versprochen habe. Scotland Yard leitete eine Untersuchung ein.
Das war peinlich genug, handelte es sich doch um die erste Korruptionsuntersuchung gegen eine Regierung seit mehr als 70 Jahren. Damals, die Liberaldemokraten waren an der Macht, war es ebenfalls um den Verkauf von Ehrentiteln gegangen. Das Parlament verabschiedete 1925 daraufhin ein Gesetz zur Parteienfinanzierung, das im Jahr 2000 ergänzt wurde. Danach müssen Parteien Spenden über 5.000 Pfund sowie vergünstigte Darlehen deklarieren. Allerdings ist der Paragraf vage formuliert, es bleibt Spielraum für Interpretationen.
Die Polizei fand heraus, dass Labour heimlich mehr als 20 Millionen Euro von zwölf reichen Geschäftsleuten kassiert hat, um den Wahlkampf vor zwei Jahren zu finanzieren. Vier der Gönner wurden auf die Vorschlagsliste für das Oberhaus gesetzt, fielen bei der unabhängigen Ernennungskommission jedoch durch. So weit geben Blair und seine Berater die Geschichte zu, bestreiten jedoch, dass zwischen Darlehen und Oberhausliste irgendein Zusammenhang bestehe. Merkwürdig bleibt, dass Jack Dromey, der Schatzmeister der Labour Party, erklärte, die Darlehen seien vor ihm verheimlicht worden. Es wurde für Labour aber noch peinlicher. Zwar sind auch andere Parteien von den Ermittlungen betroffen, aber verhaftet wurden bisher nur Labour-Leute, darunter auch Michael Levy aus dem Oberhaus. Er ist Blairs Tennispartner, sein Nahostbeauftragter und oberster Spendensammler der Partei. Sein Spitzname: "Lord Geldautomat". Die Verantwortliche für Regierungsbeziehungen im Amt des Premiers, Ruth Turner, wurde ebenfalls festgenommen. Beide kamen bald wieder frei.
Einer der Labour-Wohltäter war Sir Christopher Evans, der mit Biotechnik ein Vermögen gemacht hat. Im September wurde auch er verhaftet. Er hatte der Labour Party eine Million Pfund "geliehen", beteuert aber ebenfalls, nichts Unrechtes getan zu haben.
Die Polizei hat bisher mehr als hundert Zeugen vernommen, darunter sämtliche Minister, die vor den Wahlen 2005 im Amt waren. Im Dezember und Januar wurde schließlich auch Blair gehört, allerdings nur als Zeuge, wie die Polizei betonte. Blair ist der erste amtierende Premierminister in der Geschichte Großbritanniens, der im Zusammenhang mit Ermittlungen von der Polizei vernommen wurde.
Inzwischen ermittelt Scotland Yard aber nicht nur wegen der als Darlehen getarnten Spenden, sondern auch wegen Behinderung der Ermittlungen. Diese kann mit mehreren Jahren Haft bestraft werden. Die Beamten vermuten, dass es an Blairs Amtssitz eine Vertuschungsaktion gegeben hat. Dafür soll sogar ein geheimes E-Mail-System eingerichtet worden sein. Levy und Turner werden verdächtigt, belastende E-Mails gelöscht zu haben. Die bestreiten das, doch dem Guardian ist ein Brief von Turner an ihren Anwalt zugespielt worden, der mit den Worten "O fuck" beginnt. In dem Brief beschuldigt sie Levy, von ihr verlangt zu haben, für ihn zu lügen. In der Downing Street geht nun die Angst um. Befürchtet wird, dass Levy auspacken könnte, falls er sich in die Enge getrieben fühlt und glaubt, er solle zum Sündenbock gemacht werden. Immerhin kennt er seit zwölf Jahren die geheimen Geldbeschaffungen der Partei.
Dass Tony Blair nicht gewusst hat, wie Levy das Geld besorgt hat, das glaubt keiner. Blair selbst hüllt sich in Schweigen, weil er nicht in eine laufende Untersuchung eingreifen will - und vermutlich, weil er sich nicht selbst belasten will.
Bis auf Blair glauben die meisten Beteiligten, dass diese polizeiliche Untersuchung mit der Empfehlung schließen wird, Anklage vor Gericht zu erheben. Die Entscheidung liegt beim Generalstaatsanwalt. Bis vergangenen Freitag war das Lord Goldsmith. Deshalb konnte Blair optimistisch sein, dass die Sache im Sande verlaufen würde. Schließlich hatte Goldsmith bei der BAE-Affäre ja auch im Sinne der Regierung entschieden. Doch vor vier Tagen hat Lord Goldsmith sein Amt aufgegeben.
Von Blairs ursprünglichem Image als Saubermann ist heute nichts mehr übrig. Er wollte die Regierungsgeschäfte nach Jahren von Filz und Finanzaffären der Tories sauber führen. Nach all den Korruptionsskandalen ist davon längst keine Rede mehr, selbst wenn es zu keinem Prozess gegen seine Mitarbeiter in der Parteispendenaffäre kommen sollte. Absehbar ist: Der Nachfolger von Lord Goldsmith wird wohl aus dem Lager des Blair-Nachfolgers Brown kommen. Und er wird sich genau überlegen müssen, gegen wen er Anklage erheben will. Denn Gordon Brown gehört zumindest zu den Mitwissern der Affäre.
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