Bitterer Abgesang: Tanne kommt nach Bayern
Beim Abschied von Defensiv-Legende Michael Tarnat formiert sich der Fan-Widerstand gegen Hannover 96-Trainer Dieter Hecking. Der will durchhalten.
Auf der kleinen Tanne, die sie ihm zum Abschied überreichen, steckt ein rotes Herz. Im Hinterzimmer des Härte-Krugs, einer rustikalen Fußballkneipe in Hannovers buntem Stadtteil Linden, tritt Michael Tarnat ab. "Tanne", wie die Fans den 39-Jährigen liebevoll rufen, mag sein Abschiedsbäumchen nicht mehr in Hannover einpflanzen. Es zieht ihn zurück zum FC Bayern München, wo er als Scout oder Talent-Former arbeiten möchte. "Ich hatte in Hannover fünf tolle Jahre und einen Scheißtag", sagt Tarnat.
Wenn ein Oldie wie Tarnat als ältester Feldspieler der 1. Liga gesagt bekommt, dass er keinen neuen Vertrag mehr erhält, kann das kein schöner Tag gewesen sein. Aber Trainer Dieter Hecking und 96-Boss Martin Kind haben es gerade geschafft, einen der bekanntesten deutschen Profis einfach abzuservieren. Ohne Blumen. Seitdem werden immer mehr Risse in einem Kollektiv sichtbar, das nicht richtig funktioniert. Tarnat verzichtet darauf nachzutreten. Über die abgelaufene Saison mit 69 Gegentoren sagt er nur so viel: "Die Mannschaft war unzufrieden. Deshalb hatten wir ja auch so viele Sitzungen."
Ein Großteil des Teams ist mit dem eigenen Arbeitgeber so unzufrieden, dass es beim letzten Spiel in Bielefeld (2 : 2) einen Affront gab: Um auf den Abgang des gekränkten Tarnat hinzuweisen, breiteten sie nach jedem 96-Tor sein Trikot mit der Nummer 18 wie einen Gebetsteppich aus. Der Kniefall der Spieler vor Tarnat, vor den Fernsehkameras für Millionen Fans vollzogen, richtete sich auch gegen die Vereinsführung - und passte zu den Protestaktionen der Fans, von denen immer mehr unverhohlen den Rücktritt von Hecking fordern.
Es sind selbst die treuesten der treuen Anhänger, die gegen den eigenen Trainer mobil machen. Die Vertreter der Fanvereinigung Rote Kurve, die Tarnat zum letzten Bier in die Kneipe gebeten hat, reißen derbe Witze über Heckings Training. Und sie haben ein feines Gespür für den Bruch zwischen Spielern und Vorgesetzten. Vielleicht weiß der Trainer wirklich nicht, dass sich einige der Spieler bei der Vereinsführung über ihn beschwert haben. Vielleicht verdrängt er es. "Bei 25 erwachsenen Männern gibt es immer den einen oder anderen, der nicht Hurra schreit. Das ist überall normal, wo viele Menschen eng miteinander arbeiten", behauptet Hecking. Die Trikot-Posse empfindet er nicht als Aktion gegen sich, sondern für Tarnat. Immerhin räumt Hecking selbstkritisch Fehler ein und zeigt Verständnis für den Frust der Fans. Doch an einen Rücktritt denkt der 44-Jährige nicht. "Ich bin als Trainer erstmals so richtig unter Druck gekommen. Aber die Motivation ist ungebrochen. Ich nehme die Herausforderung an."
Präsident Kind steht immer noch hinter dem Trainer, der es schon seit fast drei Jahren in Hannover aushält. Genau deshalb wird der Klubchef in den nächsten Tagen unangenehme Post bekommen. Die Fans aus der "Roten Kurve" haben, als sie Tarnat ihren Dank für fünf Jahre mit ihm aussprachen, stapelweise Postkarten an die Firma "KIND Hörgeräte GmbH & Co. KG" verteilt. "Herr Kind", ist darauf zu lesen, "meiner Dauerkarte steht leider etwas im Weg. Räumen Sie das bitte weg - danke!" Die freche Botschaft dient als optische Umrahmung eines Fotos von einem grummelig aussehenden Dieter Hecking.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!