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Bislang weiß niemand, ob es zum Streik kommt

■ Anders als vor dem Arbeitskampf 1984 wissen diesmal auch die Spitzenfunktionäre der gegnerischen Organisationen nicht, ob es tatsächlich zum Arbeitskampf kommt

Gibt es nun einen Streik oder nicht? Alle Beteiligten in der IG Metall und beim Arbeitgeberverband Gesamtmetall beantworten diese Frage mit weitschweifigen Betrachtungen über das Verhalten des jeweils anderen: „Wenn die IG Metall keine Abstriche macht, dann...“. Die ausweichenden Antworten gehören zum Ritual derartiger Pokerpartien, aber sie sind es nicht nur: Anders als 1984, als schon monatelang vorher die Konfrontation absehbar war, wissen diesmal auch jene nicht, wie es weitergehen wird, die sonst immer alles genau wissen: Die Spitzenfunktionäre beider Verbände. Die Verunsicherung über den Fortlauf der Auseinandersetzung hat viele Ursachen. In beiden Organisationen - IG Metall und Gesamtmetall - hat es inzwischen einen Führungswechsel gegeben. Ge samtmetall unter dem neuen Präsidenten Werner Stumpfe, steuert einen weitaus elastischeren Kurs als sein Vorgänger, der die 40–Stunden–Woche 1984 noch zum unantastbaren Tabu erklärt und damit die Konfrontation von 1984 erst richtig angeheizt hatte. Der neue IGM–Chef Steinkühler, der als Bezirksleiter von Stuttgart schon einige Arbeitskämpfe erfolgreich geführt hat, steht unter dem Druck, ein Ergebnis in mindestens demselben Umfang zu erzielen wie sein Vorgänger Hans Mayr. Eineinhalb Stunden Arbeitszeitverkürzung wurden seinerzeit nach sieben Streikwochen durchgesetzt. Jetzt trommelt Steinkühler, er könne nicht mehr für Ruhe und Ordnung in der Republik garantieren, wenn durch kalte Aussperrung während eines möglichen Arbeitskampfs mehr als eine Million Metaller ohne finanzielle Absicherung dastünden. Es ist aber keineswegs sicher, ob die Gewerkschaft in der Lage sein wird, den Unmut und die Verzweiflung von hunderttausenden kalt ausgesperrten Mitgliedern von sich weg auf die Arbeitgeber und die Regierung zu lenken, die mit der Veränderung des Paragraphen 116 Arbeitsförderungsgesetz die finanziellen Absicherungen für die mittelbar von Arbeitskämpfen Betroffenen beseitigt haben. Zwar hat die IG Metall seit Jahren nicht eine derart massenweise Beteiligung an den Warnstreikaktionen registrieren können wie in diesem Jahr. Über 800.000 Metaller haben inzwischen - oft mehrmals - für ein oder zwei Stunden ihre Kampfbereitschaft demonstriert. Aber die 40 oder 50 Mark für einen Warnstreik sind leichter zu verkraften als ein langandauernder Arbeitskampf, bei dem Hunderttausende bis zu einem Monatslohn riskieren würden, selbst wenn sie zu den Glücklichen gehören, denen die Gewerkschaft Streikgeld zahlt. Immerhin - der Wechsel in der Zuständigkeit für die Tarifpolitik der IG Metall, der aufgrund des überraschenden Rücktritts des charismatischen Hans Janßen notwendig wurde, hat der politischen Kontinuität bisher nicht geschadet. Zwar hat der Nachfolger Klaus Zwickel noch nicht das Format als Volkstribun gewonnen wie sein Vorgänger Janßen, aber an der gesellschaftspolitisch begründeten Priorität für Arbeitszeitverkürzung hat sich bisher nichts geändert. Fragt sich nur, ob sie auch in dieser Tarifrunde durchsetzbar ist: „Wenn Gesamtmetall sich nicht bewegt, dann...“, heißt es vielsagend bei der IG Metall. Klärung darüber, ob es einen Arbeitskampf gibt oder nicht, wird es bis spätestens Ende April geben. Wenn es zum Arbeitskampf kommt, steht die IG Metall wegen des geänderten Paragraphen 116 vor einer schwierigen Entscheidung: Soll er, wie in den letzten Jahren fast immer, von den kampferprobten Metallern aus Baden–Württemberg geführt werden oder - dies zeichnete sich in den letzten Wochen als einzig mögliche Alternative ab - in Nordrhein– Westfalen. Für das Ruhrgebiet als Kampfplatz spricht, daß die IG Metall Gefahr läuft, ihre Streikfähigkeit in den übrigen Gebieten zu verlieren, wenn sie immer nur im Südwesten stellvertretend für alle anderen kämpfen läßt. Gleichzeitig könnten die wegen des Paragraphen 116 für die Gewerkschaft problematischen Fernwirkungen des Arbeitskampfes in NRW auf Grund der unterschiedlichen Produktionsstrukturen geringer gehalten werden als in Baden–Württenberg. Wenn allerdings die politische Auseinandersetzung um den Paragraphen 116 im Arbeitskampf zugespitzt werden soll, spricht alles für Baden–Württemberg als Streikgebiet. Hier sind einige zentrale Zulieferbetriebe für die Autoindustrie angesiedelt, deren Stillegung für die „Minimax“–Wirkung des Streiks von 1984 gesorgt hat. Die Vorbereitungen für eine Solidaritätskampagne mit den kalt Ausgesperrten sind inzwischen in allen DGB–Kreisen angelaufen. Dabei will man auch über das Gewerkschaftsmilieu hinausgreifen. In einem Rundschreiben forderte die IG Metall ihre Funktionäre auf, die Arbeitsloseninitiativen einzubeziehen.

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